Mut zur Unvollkommenheit

Mut zur Unvollkommenheit

1Kor 1, 26-31                      1. Sonntag nach Epiphanias – Großgrabe/Oßling, am 12.01.2020

„Seht auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, damit, wie geschrieben steht (Jer 9, 22.23): Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“ 

Liebe Gemeinde! Beim Blättern bin ich auf folgende Anzeige gestoßen: „Suchen Mitarbeiter/innen in verantwortlicher Position für unser weltweit operierendes Unternehmen. Besondere Qualifikation nicht erforderlich; überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit und –bereitschaft wird nicht vorausgesetzt. Wir freuen uns besonders über Bewerbungen von Menschen mit Einschränkungen und Handycaps. Geschlecht, Alter, Familienstand und Mängel in der Ausbildung sind unerheblich.“ Soll das ein Witz sein, dachte ich, die nehmen ja jeden. Es ist kein Witz. Diese Anzeige steht in der Bibel, ist unser Predigtwort. Es geht um das Unternehmen „Ecclesia“, sprich Kirche, Gemeinde. Und um die Menschen, die für dieses Unternehmen ausgewählt, für würdig, geeignet befunden werden: (Lesung 1Kor 1, 26-31) Das muss man ihm lassen, unserm Gott. Er ist wählerisch. Seine Auswahlkriterien allerdings sind merkwürdig. Die Klugen und Mächtigen lässt er links liegen. Die Einfachen, Geringen und Verachteten dagegen zieht er vor. Ist das eine gute Wahl, die Gott hier trifft? Er setzt nicht auf Elitearbeiter und Karrierefrauen. Kein Wunder, könnte man meinen, dass es deshalb mit der Kirche nicht allzu rosig aussieht, bei solchen Qualitätsmängeln ihrer Mitarbeiter: „was  töricht ist, hat Gott erwählt … was schwach ist, das Geringe und Verachtete.“ Im Grunde klingt dieser Abschnitt wie eine schallende Ohrfeige für alle, die sich in den Gemeinden qualifiziert und gut geschult einsetzen, wenn Paulus schreibt: „Schaut euch doch selbst an, Geschwister! Kaum einer beherrscht es, kaum einer stellt etwas dar. Da ist nichts Großartiges, Erhabenes und Edles!“ Das klingt wirklich nicht nach einem Kompliment für Engagierte. Für Leute, die ihre Arbeit möglichst gut machen wollen. Es hört sich nicht nach Wertschätzung an für diejenigen, die sich durch Qualifikation und Schulung weiterbilden, um kompetenter, besser zu werden. Nach Paulus klingt es so: 1. Wahl bei Gott sind schwache, einfache und unbedeutende Menschen. Bringen wir dieser Botschaft Glauben entgegen, dann tut sich hier eine ungewohnte Freiheit auf: Schwächen dürfen sein. Christen brauchen keine Hochglanzmenschen sein. Wir hören das überraschende Wort: Gott erwählt uns um unserer selbst willen, aus Liebe. Aber sind wir ehrlich – das begreifen wir nicht so einfach. Unser gesamter Lebensvollzug ist auf Leistung getrimmt. Wir haben das Kosten-Nutzen-Denken verinnerlicht. Und jetzt das. Wir sollen der Liebe Gottes trauen. Gott Glauben schenken. Wir müssen weder etwas bieten noch besonders sein. Ich nenne es die „Verunsicherung durch Glauben“. Wir sind unsicher darin, auf so etwas zu bauen. Was nichts kostet ist auch nichts wert. So unsere Denke. Keine Sicherheiten, sondern der Liebe Gottes vertrauen, auf diese eine Karte setzen. Wir schauen mit diesen Gedanken von unserer Normalität auf Gottes Liebe. Die hier genannten, von mir kritisch betrachteten Auswahlkriterien hat Gott zuerst an sich selbst angelegt und sie gelebt. Er wagt, nach menschlichem Ermessen etwas sehr Törichtes: Er verlässt seine Herrlichkeit und Macht, gibt seine Kraft, Allmacht und Herrschaft vollständig auf und wird ein Mensch. Seine Liebe veranlasst ihn, dem Menschen ein Mensch zu sein. Er wählt den in Menschenaugen unverständlichen, törichten Weg und wird schwach, unbedeutend, gering. Geradeso bekommt er noch einen Krippenplatz und teilt so das Geschick vieler unpassend Geborener. Das Lumpenproletariat seiner Zeit, die Hirten, sind Gottes erste Wahl. Er lässt ihnen die hohe Ehre zuteil werden, als erste die weltverändernde Botschaft zu vernehmen. Sie dürfen Engel hören und sehen. Und da sie arm sind, hält sie keine Sattheit. Sie eilen gen Bethlehem. Zu Recht muss sich Gott im Gewand des Nazareners später vorwerfen lassen, er sammle das Gesindel um sich. Zöllner, Sünder, Frauen aus dem horizontalen Gewerbe, Kranke und Gekränkte – sie alle waren empfänglich für die Botschaft von Gottes Liebe. Dann das Ende: Als Gescheiterter, brutal gefoltert, mit allen erdenklichen Schmähungen gedemütigt, verendet am Kreuz als Verfluchter. Gottes Liebe wählte den Weg in Tod, Dunkelheit und Schwachheit, um den Todgeweihten, in Finsternissen Gebundenen und Schwachen seine Liebe, sein Leben zu bringen. Die zu Jesu Zeiten wenig geachteten Frauen, das sogenannte schwache Geschlecht – ihnen, nicht den Mächtigen, wird am Ostermorgen das Wunder gezeigt. Sie erfahren, dass die göttliche Liebe das Wunder vollbringt: Leben zu schaffen durch den Tod hindurch. Durch Jesu jämmerliches Ende am Kreuz öffnet Gott den Himmel. Wie soll das auch in menschliche Köpfe hineingehen? Dieser schwächliche Gott war schon zu Zeiten Pauli ein Skandal – dass ein ans Kreuz Gehenkter Gottes Sohn, Messias sein soll, ja dass durch seinen Tod für uns das ewige Leben hervorkommt. Der Jude und Gesetzeslehrer Saulus war empört ob dieser Botschaft. Er tobte und wütete gegen den Weg, den sich Gottes Liebe in Jesus erwählt hatte. Bis er vor Damaskus dieser Liebe selbst begegnete. Da ging´s ihm durch und durch und der starke Kämpfer, der volltrainierte Fromme ging zu Boden. Der auferstandene Christus begegnete ihm persönlich. Worauf seine Existenz, sein Weltbild und Glaube ruhte, zählte nicht mehr. Geschlagen am Boden, mitten in der Erfahrung seiner eignen Schwachheit, gehen ihm die Augen auf über Gottes Liebe. Er begreift mit dem Herzen die Macht der Ohnmacht. Klarheit leuchtete in sein frommes Leistungsdenken: Nicht ich muss versuchen, Gott gerecht zu werden, es bedarf allein des Geschenkes: In Jesus wird mir die vollkommene Gerechtigkeit verliehen, die im Himmel Anerkennung findet. Aber zuerst musste schwach werden, um den gekreuzigten und auferstandenen Christus zu begegnen. Die Schwachen und Schwachgewordenen sind deshalb Gottes erste Wahl, weil sie eher in der Lage sind, sich ihre Bedürftigkeit einzugestehen. Gottes Liebe gilt mir. Diese Erfahrung wartet auf mich. Vornehmlich in den Ängsten, Verstrickungen und Schwachheiten meines Lebens. Eine bekannte Christin schreibt dazu: „Mut zur Unvollkommenheit: wie danke ich dir, dass ich dazu stehen darf, Grenzen zu haben: Grenzen des Glaubens, Grenzen der Geduld, Grenzen der Belastbarkeit. Mag ich stolpern oder fallen, immer stürze ich auf dich zu, immer falle ich in deine Arme.“ (S. Naegeli) Ist das nicht ein Grund zur Zuversicht – für mich, die Gemeinde und unsere Kirche? Amen.

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