Palmsonntag

Palmsonntag

Phil 2, 5-11                                                                               Palmarum – Großgrabe/Oßling, am 09.04. 2017

„Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“

Liebe Gemeinde! Im Mai 1995 erging der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zum Kruzifix in staatlichen Schulräumen. Ich zitiere aus dem Urteil: Das Kreuz gehört nach wie vor zu den spezifischen Glaubenssymbolen des Christentums. Es ist geradezu sein Glaubenssymbol schlechthin. Es versinnbildlicht die im Opfertod Christi vollzogene Erlösung des Menschen von der Erbschuld, zugleich aber auch den Sieg Christi über Satan und Tod, und seine Herrschaft über die Welt, Leiden und Triumph in einem. (BVerfE 93,19) Sollten wir als evangelisch-lutherische Gemeinde hinter diesem Wissen staatlicher Richter zurückbleiben? Unser Predigttext führt uns zum Kreuz, zum Herzen unserer Tradition. In besonderer und ausdrücklicher Weise betonen die lutherischen Kirchen den 2. Artikel des Glaubensbekenntnisses. Das ist unsere besondere Aufgabe, unsere Stimme, unser Instrument im Orchester, im Konzert der Kirchen und Konfessionen: Christus, der Gekreuzigte. Luther schrieb dazu seine berühmte „theologia crucis“, Theologie des Kreuzes. Mit Blick auf die Schriften des Paulus, insbesondere unsern Text (den Paulus schon vorfand und aufnimmt), erinnert Luther: der Weg der Kirche kann nur der Weg Jesu sein: schlicht, einfach, niedrig. Das war nicht nur aktuell zu Luthers Zeiten, als die Kirche das Wort und das Schwert führte, durch Glanz und Kathedralen schritt. Die Versuchung, etwas darzustellen, begleitet die Kirche wie ein Schatten. Dem widerstehen wir mit dem lutherischen Bekenntnis: solus Christus. Allein Christus schenkt uns die Gerechtigkeit, die Gott gelten lässt. Deshalb ist Jesu Weg Programm: „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ Hatten die Zeitgenossen des Paulus schon erhebliche Probleme zu hören, dass Gott nicht nur scheinbar, sondern wirklich Mensch wurde, war es ein Skandal, ja unerträglich zu hören: Gottes Sohn stirbt freiwillig den Verbrechertod. Eine absolute Zumutung. Und das ist es auch, zumindest für Nichtchristen. Wir sehen es am Kruzifixstreit in Bayern. Aber nicht für uns Christen. Wir haben uns längst daran gewöhnt. Und das ist unser Problem. Gottes Sohn kackt die Windeln voll, nuckelt an einer prallen Mutterbrust, macht Bäuerchen, kriegt als Siebenjähriger den Hintern voll, weil er in Nachbars Garten etwas tat, was er nicht sollte. Gott wurde Mensch, hebt uns nicht an. Als 14-Jähriger fängt er an zu begreifen, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind, vor ihm sein zorniger Vater, hält Jesus seine Hand an die schmerzende, glühende Wange, weil er den Abbund vermasselt, verschnitten hat. Gottes Sohn, dem die ersten Bartstoppeln sprießen, der scheu-fasziniert die Mädchen und Frauen beim Garbenraffen auf dem Feld beobachtet und nicht versteht, warum ihm kalt und heiß wird. Der sich den Magen verdirbt beim Essen und Trinken zur Kirmis und so gern heimlich wach geblieben wäre mit den andern. Aber Joseph schickt Gott, den Menschgewordnen mit einem strengen Blick ins Haus. Ein schlichtes Leben in Familie, Geschwister, für die kleine Firma muss hart geschuftet werden, die kleine Landwirtschaft nebenher. Und Gottes Sohn mit dem Gesellenbrief in der Tasche, der Schöpfer alles Lebendigen hilft der Mutter beim Wäscheauswringen, füttert die Hühner, lernt die Thora auswendig, betet zum Gott Israels, holt sich ein blaues Auge in einer Rangelei mit einem Betrunkenen, der ein paar Kinder verprügeln will und ist mit dreißig so erwachsen, dass er erstmals eigne Wege geht: „Er entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.“ Und nun zu unserm Problem. Es hat starke Beharrungskräfte und heißt: Gewohnheit. Wir haben uns so sehr an das Kreuz gewöhnt, das daraus eine Kultur, Lebenskultur geworden ist. Der Gekreuzigte wird vergoldet oder versilbert, jedenfalls ansehnlich dargestellt. Dabei war Jesus am Karfreitag blutig und geschunden und seiner letzten Würde beraubt: Er hing nackt am Kreuz. Nicht nur Arme und Beine, auch sein Geschlecht wurde öffentlich zur Schau gestellt, nackt und bloß. Jesus hat sich soweit erniedrigt, dass er sich bloßstellen ließ. Unser Predigttext ist eines der ältesten Bekenntnisse der ersten Christen. Ihre Bibel war das Alte Testament. So knüpft vermutlich unser Christuslied an den Propheten Jesaja vom leidenden Gottesknecht an: „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schande. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.“(Jes 53) So glaubten die ersten Christen: Jesaja redet prophetisch von Jesus, dem Gekreuzigten. Gottes Sohn am Kreuz – sein Leiden und Sterben ist ein Leiden und Sterben für die Sünden aller. Wie bitte?, fragten Pauli Zeitgenossen. Einer für alle?, fragten Luthers Zeitgenossen. Solus Christus, allein Christus, wie soll das denn gehen? Solus Christus – war Luthers Antwort – wird allein begriffen, verstanden und wirksam durch sola fide, allein aus Glauben. Das soll ich glauben?, tönte die Frage vor 2000, vor 500 Jahren bis heute. Ja, heißt die Antwort, das allein sollst du glauben. Dies ist uns anvertraut, es ist unsere Tradition, in der wir durch Luther stehen: solus Christus, sola fide.

Was hat das mit unserm Alltag zu tun, mit mir meiner Familie, Gemeinde, Gesellschaft? Damals jedenfalls berührte unser Predigttext sehr Alltägliches. Paulus ruft: Leute, der Glaube muss leben, der Glaube muss ins Leben. Wie könnt ihr euch mit Gott im Reinen wähnen, wenn ihr euch ständig mit euern Nachbarn zofft? Wieso geht es in eurer Gemeinde so viel um Ansehen? Was habt ihr, fragt Paulus die Philipper, für ein Gottesbild, wenn ihr von Gott machtvolle Taten und herrliches Wirken erwartet, aber es geht euch nur um eure Macht und Herrlichkeit? Im Blick auf Jesus erkennen wir, dass Gott seine eignen Wege hat. Er geht genau umgekehrt vor: wir möchten nach oben – er geht nach unten; wir halten, was wir haben – er gibt hin; wir gehen gern zu Menschen in ihren Höhen – er sucht die Verzweifelten, Kranken und Schuldigen auf; wir wollen herrschen – er erniedrigt sich. Wir wollen um jeden Preis leben – er geht freiwillig ins Sterben. Einmal, wenn Jesus wiederkommt, dann offenbart er alle seine Macht. Alle Kreaturen werden sich vor ihm beugen – aber noch sind wir und die Kirche auf dem Weg Jesu. Wir kümmern uns nicht um Großes, sondern Kleines; nicht um oben, sondern um unten, was schlicht heißt: Verzeiht, liebt und seid barmherzig mit euch selbst und den andern. Mit Blick auf Jesus ist das ganz leicht: Stellt euch vor, ihr habt Familientreffen. Da sind acht Geschwister, man kennt sich nur zu genau. Den einen begrüßt man mit Handschlag, der andere wird umarmt. Man hat ja seine Geschichte. Es gab friedliche Zeiten, aber auch viel Streit und Entzweiung, Versöhnlichkeit und Entfremdung. Aber Mutter wird 75. Man sitzt beieinander, lacht, aber an einem bestimmten Punkt, diesem einen, scheint sich, wie immer, Streit anzubahnen. Es klingelt, endlich. Vater wird rein getragen, Mutter kann noch gut laufen. Als sie leise lächelnd in der Runde sitzen, spürt jeder ohne Worte die Lächerlichkeit und Kleinherzigkeit, das Rechthabenwollen angesichts der alten Eltern. Jeder fühlt im Herzen: Es ziemt sich nicht, sich zu entzweien, wir sind eine Familie. Wir leben von Vaters Kraft, die er uns gab und Mutters Liebe, die sie uns seit Babytagen einflößte. Angesichts ihrer Hingabe werden die eignen Befindlichkeiten bedeutungslos. Genau das ist uns heute gesagt: „Seid unter euch so gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Jesus Christus entspricht.“      Amen.