Praxistipps: Einheit

Praxistipps: Einheit

Röm 12, 4-16                                                2. Sonntag nach Epiphanias – Oßling/Großgrabe, am 19.01.2020

„Wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben, nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so über er sie dem Glauben gemäß. Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er´s gern. Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug.“

Liebe Gemeinde! Mein kleiner rechter Finger und sein hübscher Nagel … Was sehe ich? Eine Verbindung! Im Blick auf meinen kleinen Fingernagel entdecke ich eine Brücke zwischen dem Anfang und dem Ende unseres Predigtwortes. Dieser beginnt so: Wie ein Körper viele Glieder und Organe hat, so sind die Christen ein Körper in Christus. Das ist eine bildhafte Antwort auf die Frage: Was ist die Gemeinde? Was ist die Identität der Kirche? Sie ist Einheit in Vielfalt. Nichts im Körper gleicht sich und doch ist eins fürs andere da. Wenn die vielen Christen den einen Leib Christi bilden, stellt sich gleich eine weitere Frage: Wo bin ich im Leib Christi? Wem diene ich? Wer dient mir? Ich habe gesucht und gefunden. Bei der Überlegung, bin ich etwa Herz oder Hand, Leber oder Lunge, hat mir der Schluss unseres Predigtwortes zur Seite gestanden: „Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen.“ Mein Versuch, diesem Rat  zu folgen, endete dann eben so, mit einem Blick auf diesen kleinen Nagel: Schutz und Schönheit – deshalb haben wir unsere Fingernägel. Sie schützen äußerst empfindliche Stellen. Das ist meine Aufgabe. Ich stehe in der Schweigepflicht. Ich weiß von Nöten, Sorgen, Scham, Schuld und Sündenverstrickungen, von den Schwächen unseres Menschseins. Und soll schützen, d.h. durch meine Fürbitte, Anteilnahme, Sorge und Seelsorge schützend Schmerz bedecken und dämpfen. „Es ist Gottes Ehre, eine Sache zu verbergen.“ heißt es in Sprüche 25,2 . Fingernägel sind auch Schmuck bzw. können es sein. Für die Ansehnlichkeit der Gemeinde sorge ich mit: Freundlicher Umgang, jeder ist willkommen, keine Ausgrenzung, ein offenes Ohr. Ich bemühe mich mit darum, dass Menschen, die zu uns kommen, sagen können: Bei euch ist es schön. Das ist mein Leben als Fingernagel. Er muss aber auch aufpassen, sich nicht einzukratzen. Er braucht Pflege und die Beseitigung der Trauerränder. Er will nicht abgeknaupelt, sondern geschnitten werden. Er soll ein bisschen ausgefeilt daherkommen. Weil der Fingernagel für sich zu Recht Schönheit und Pflege beansprucht, sichert er nicht wenige Arbeitsplätze im Bereich Kosmetik. Zudem kann ein Arzt an seinem Zustand Gesundheit oder bestimmte Erkrankungen erkennen. Sein Äußeres spiegelt somit auch etwas vom Zustand des ganzes Organismus´. Hätten wir die Fingernägel nicht, wir müssten über-über-übervorsichtig sein. Wir wären fast nur mit uns und unserer Schmerzvermeidung befasst. Schutz und Schönheit ist mein Amt, so schreibt es Paulus: „ … steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig.“ – Wer diesen Worten der Heiligen Schrift Glauben schenkt, kommt zu der Erkenntnis: Wir Christen sind eng miteinander verbunden. Nun sind in einem Vulkangestein z.B. viele Stoffe und Mineralien miteinander verbunden. Diese Art von Verbundenheit ist erstarrt, starr, unlöslich, statisch. Das kann hier nicht gemeint sein. Das Bild eines Körpers redet von einer sehr innigen, lebendigen Verbundenheit. Ein ständiger, lebenserhaltender Austausch findet statt. Um klar zu machen, was das im Alltag, der Lebenspraxis bedeutet, verlässt Paulus im zweiten Teil das Bildwort vom Körper. Er wird konkret: „Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.“ Das ist keine Aufforderung: „Seid nett zueinander!“ Liebe unterscheidet zwischen gut und böse – nichtzwischen Guten und Bösen. Darum sagt die Liebe nicht zu allem „Ja und Amen“, sondern Ja oder Nein. Ihre heilende, verbindende Kraft muss die Liebe besonders in Konflikten und verhärteten Auseinandersetzungen zeigen. Liebe besitzt die Widerstandskraft, negativen Gefühlen, die das Gespräch, das Miteinander behindern, Grenzen zu setzen. Liebe kann Kraft sammeln, die Mauern solcher Gefühle zu überspringen: „Segnet, die euch verfolgen.“ Liebe trägt in sich schöpferische Potenzen. Sie kann versöhnende Gesten und klärende Gespräche zur Welt bringen. Die Liebe sieht ihre Aufgabe darin, dass aus dem Zusammenleben ein Miteinander wird. Sie setzt ihr Herzblut ein, dass alles Miteinander zum Füreinander reift. – In meiner Predigt stehe ich jetzt an einer Wegkreuzung. Wenn ich einfach im Text weitergehe, wird sich wohl Ermüdung einstellen und eure Gedanken wandern in eine eigene Richtung. Ich bin mittendrin in einem Dickicht von 21 Ermahnungen. Wenn so viele Ratschläge auf einen niederprasseln, gleitet die Art des Zuhörens auf die kindhafte Ebene. Man fühlt sich wie ein Zehnjähriger, der das erste Mal mit der Bahn allein zu Oma fährt. Der Redeschwall der Mutter dringt durch das geöffnete Fenster. Der Junge drinnen mit verkniffenem Gesicht hört, und hört doch nicht: Sei artig, ärgere Oma nicht, geh rechtzeitig ins Bett, hast du dein Portemonnaie, benimm dich am Tisch und … und  … und. Paulus sagt in vielen Varianten dasselbe, sozusagen für jeden etwas. Er meint: Gebt der Liebe eine Chance, verschafft euerm Füreinander Lebensraum. Wer sich die Frage stellen will: Wie kann ich der Liebe zwischen uns zum Aufblühen helfen, der findet in Römer 12, 9-16 ein Lebensprogramm. In der Mitte all dieser Ermutigungen steht dieses bekannte, geliebte Wort: „Seif fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“ Ich picke mir diesen Vers raus und befrage ihn: Was bedeutest du für mich, als Teil des Leibes Christi? Was sagt dieses Wort über einen Fingernagel? Der Fingernagel sagt dazu: Meine fröhliche Hoffnung heißt: Ich bin nachwachsend. Und woher nimmt er seine Geduld in Trübsal? Da reimt er für sich: Trifft mich ein Hammer auf dem Bau, dann schrei ich laut und werde blau, doch kurz nach solchem Weh und Ach, wachs ich aus meiner Wurzel nach. Ich sehe: Weil ich mit dem Leib Christi verbunden bin, kann ich fröhlich hoffen, mir strömt Lebenskraft zu. Ich lebe nicht aufs Ende zu, sondern auf die Vollendung hin. Christus wird sein Versprechen gewiss halten. Hoffnung und Geduld werden vom Gebet in der Bahn gehalten. Im Beten üben wir das Aushalten von Ausweglosigkeiten und Spannungen. Gebet trägt in Krisen und Anfechtungen. Im Gebet binden wir uns immer neu an das Zentrum, an Jesus Christus. Er hat über uns beschlossen: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ Weil auf Christus Verlass ist, dürfen wir täglich dieses Wort für unsern Alltag buchstabieren und daraus Leben und Glauben schöpfen:„Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“ Amen.

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