Radikal…

Radikal…

Lk 14, 25 – 33                                 5. Sonntag nach Trinitatis        Oßling/Großgrabe, am 21.07.2019

„Es ging eine große Menge mit Jesus; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen? Damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann´s nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann´s nicht ausführen. Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen anderen König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit Zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit Zwanzigtausend? Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange er noch fern ist, und bittet um Frieden. So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt, von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.“

Liebe Gemeinde! Warum stellt Jesus das 4. Gebot auf den Kopf? „Wer nicht hasst Vater, Mutter, Frau und Kinder kann nicht mein Jünger sein.“ Irgendetwas muss Jesus gestört, ja provoziert haben. Denn er verlangt etwas Absurdes: Vater und Mutter hassen. So kann man sich auch die treuesten Anhänger vergraulen. Dabei wissen wir genau, dass Jesus seine Eltern geehrt und geliebt hat. Selbst in seiner Todesstunde am Kreuz machte er sich noch Sorgen um seine Mutter. Eines seiner letzten Worte geht an den Jünger Johannes: Kümmere dich um meine Mutter, sei zu ihr wie ein Sohn. Und jetzt das: die Eltern hassen. Die Zuhörer waren geschockt. Und wir heute sind etwas irritiert. Wie bitte?, fragen wir. Genau so ein Fragen, Aufhorchen will Jesus erreichen. Ihn stört die Gleichgültigkeit. Das muss ihn gereizt haben. Viele folgen ihm, aber nicht, weil sie Glauben suchen, eine tiefere Beziehung zu ihrem Gott. Sondern sie wollen von ihm was sehen: Wunder, Zeichen, Heilungen. Wie er Kranke gesund macht, das lockt die Gaffer an. Es muss Jesus angewidert haben, dass Leid, Schmerz und Krankheit so zur Schau wird. Und er der Zauberer in der Manege; Zugabe, Zugabe, nächste Nummer. So nicht, nicht mit mir, beginnt unser Predigttext. Jesu schroffe, ärgerliche Abweisung an die schaulustige Menge: „Es ging eine große Menge mit Jesus; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: Wenn jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.“ Instinktiv weiß der geübte Predigthörer, dass Jesus nicht die tragenden Beziehungen unseres Lebens zerreißen will, Familie, Freundschaften zertrennen. Es ist auch ganz klar, dass menschliche Liebe sich nie in Konkurrenz befindet zu Gottesliebe. Ausdrücklich und oft betont das Neue Testament, dass die Liebe zu Gott (1. Gebot) in der Liebe zu Menschen, zum Nächsten Ausdruck findet (4. – 10. Gebot). Jesus widert der laue Glaube an, dieses Trotten, Gott einen guten Mann sein lassen für schlechte Zeiten, ein bisschen religiös, ein bisschen beten, ein bisschen Frieden; nichts Ganzes und nichts Halbes, weder Fisch noch Fleisch. Diesen Mantel der Gleichgültigkeit zerreißt, zerschneidet Jesus mit einem scharfen Messer, mit dem Wort „hassen“. Euch geht`s ums Wohlfühlen, Gesundheit, guten Ruf, gutes Einkommen und Gott ist, wenn`s fromm läuft, an 5. oder 8. Stelle. Gott aber muss euch so viel wert sein, dass er immer an 1. Stelle steht. Im griechischen Urtext bedeutet das Wort „hassen“ zugleich auch „konsequent hintenan stellen“. Ob uns das heute betrifft? In manchen Teilen der Welt kann es eng werden, ja das Leben kosten, Jesus nachzufolgen, wenn z. B. ein Moslem Christ wird. Das ist bei uns noch nicht so. Bei uns ist es nicht so frostig und klar, sondern nebliger, undurchschaubarer. Wie oft muss ich mir anhören: Ich kann nicht zum Gottesdienst kommen, die Familie will zu Mittag essen. Übersetzt heißt das: ich kann trotz Gottes Gebot und Ruf nicht kommen, nicht singen und beten, nicht die Gemeinde stärken, keine Predigt hören, durch die der Heilige Geist Glaube wirkt, kann nicht in die Fürbitte der Gemeinde einstimmen, kann keine Gemeinschaft mit meinem Heiland unter Brot und Wein haben, kann keine Vergebung meiner Sünden empfangen, kann keinen Frieden mit meinem Gott machen, kann mich auch nicht segnen und senden lassen für die neue Woche – weil ich Essen kochen muss. Können wir uns da nicht vorstellen, dass Jesus bei so einer Haltung die Nase gestrichen voll hat und das messerscharfe Wort „hassen“ nimmt: „Erst wenn du alles konsequent hinten anstellst, alles hasst, kannst du mein Jünger sein.“ Die Wetterlage des Glaubens bei uns ist neblig und lauwarm. Aus meiner Kindheit kann ich zu Gottesdienst und Mittagessen nur sagen: Meine Mutter hatte elf Kinder, ging jeden Sonntag in den Gottesdienst und wir hatten jeden Sonntag 12.30 Uhr ein gemeinsames Mittagessen. – Unser Predigttext ist radikal. Radikal gegen Lauheit. Im größten Projekt, was ein Mensch anpacken kann, nämlich das Projekt „Jünger Jesu“, da gibt es nur „Entweder – Oder“. Da sollte man sich gut überlegen, ob man sich entschließt Jesus zu folgen. Er folgt dann dem Einzigen nach, für den das Grab keine Bleibe war, dem Einzigen, der die Übermacht Tod besiegt hat. Wer dem Auferstandenen folgt, kann sich nicht tot stellen, wenn es um das Evangelium geht, um die Liebe, um die Freiheit und Würde des Menschen. Deshalb bürstet Jesus den Glauben an einen Wohlfühlgott gegen den Strich. Auch die Verkündigung muss gegen den Strich bürsten und darf den Menschen nicht mundgerechte, aber langweilige Predigthäppchen servieren, aus Angst, es könnte sich jemand an einem sperrigen Brocken verschlucken. „Ja keine Mitglieder verlieren“ ist dabei der schlechteste Ratgeber. Die Kirche soll sich um ihre Mitglieder bemühen, aber sie muss niemandem mit einem weichgespülten Evangelium hinterher laufen. Niemals darf die Verkündigung einen religiösen Dämmerzustand herstellen. Kreuz – nennt Jesus das Mittel gegen geistliches Koma. Kreuz heißt leiden, tragen, Leidensbereitschaft. Unser Glaube ist kein Wohlfühltrip und darf nicht zur frommen Attrappe verkommen. Jesus möchte uns unterwegs sehen im Glauben. Als solche, die ihren Schöpfer suchen und mit Gott und ihrem Gewissen ringen: „Wer sein Kreuz nicht trägt und mir nachfolgt, der kann mein Jünger nicht sein.“ Auf dem Kreuzweg erkenne ich immer tiefer das Geheimnis meines Daseins. Im Licht der Worte Jesu offenbaren sich meine Schattenseiten. Denn das Kreuz drückt auf meine schwachen, dunklen Stellen: mein kleinliches Denken, Habgier, eitler Stolz, dieses ewige Rennen nach Anerkennung und und und … Aber wer nicht das Bild von sich selbst in Frage stellen mag, kann Jesu Weg nicht mitgehen. Sein Kreuz auf sich nehmen, fängt mit Ehrlichkeit zu sich selber an. Es geht damit weiter, den eignen Anteil an der großen Aufgabe Gottes anzunehmen, damit Gottes Wille heute auch durch mich geschieht. Dafür hält das Leben fast tägliche Bewährungsproben bereit. Die meisten Menschen ahnen nicht, was Gott aus ihnen machen würde, wenn sie sich ihm zur Verfügung stellten. – An dieser Stelle der Predigtvorbereitung hat mir mein Zweifel geholfen. Er fragte mich: Und du? Predigst andern – bist du denn selbst in der Nachfolge Jesu? Kannst du denn so radikal und konsequent sein? Ein bisschen zerknirscht und ein bisschen fröhlich hab ich gesagt: nein, meine Kraft reicht, aber nur ein Stück; mein Wille ist stark, aber nur in guten Zeiten; mein Glaube ist ausdauernd, aber nur dann und wann. Und ich hab mich erinnern lassen, dass Gott Wollen und Vollbringen schafft. Hab`  mich getröstet mit Luthers Erklärung zum dritten Artikel: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigner Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleich wie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben …“ (EG 806.2) – So bringt mich unser Predigtwort heute zu der Bitte: Erfülle mich mit deinem Licht, Heiliger Geist. Treib meinen Willen, dein Wort zu erfüllen.  Amen.

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