Silvester (Oßling)

Silvester (Oßling)

2Mo 13, 20-22                                   Silvester/Altjahresabend – Oßling, am 31.12.2020

„Die Israeliten zogen aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.“

Liebe Gemeinde am Altjahresabend! Silvester. Wir schauen in den kommenden Stunden genau hin, auf den großen und kleinen Zeiger. Viele denken heute diesen Satz: ach, wie die Zeit vergeht. Die Zeit. Mein Zeitraum. Jeder Tag ist ein Schritt durch diesen, meinen Zeitraum, der uns am Anfang so groß, weit vorkommt, am Ende so eng und klein, angstbesetzt. Ich sehe die Uhr, denke: Wann habe ich meinen Zeitraum betreten? Ich weiß es nicht. Wann werde ich hinausgehen? Wo und wie? Ich weiß es nicht. So wichtiges von meiner Reise weiß ich nicht. Das ist ein Elend. Ich schaue darauf. Und sehe zugleich meine Größe. Ich bin groß, weil ich Menschlein das einzige unter allen Geschöpfen bin, das von seinem Elend wissen kann. Ich kann mein Elend wissen und habe die Kraft, es nicht als unabänderliches Schicksal zu begreifen. Vielmehr als Ruf, den Ruf zur Suche: Finde einen Weg aus deinem Elend! Ich suche. Nicht wie ein Tier Beute, Herde oder Schlafplatz. Ich suche mein Geheimnis, mein woher, wohin, warum. Nur ein Mensch kann so suchen, ja, er muss suchen. Tut er es nicht, oder nicht mehr, sinkt das Menschliche zum Tierischen. Dann geht es um Futter, Herdentrieb, Macht und Kampf. Wer uns in diesem Suchen zur Seite steht, hilft uns Mensch zu sein, die Hoffnung zu bewahren. Denn, wer hofft ist Mensch. Und so sind wir auch heute wieder ausgezogen aus unseren Gewöhnlichkeiten, um an Gottes Wort das Hoffen zu lernen. In unserem Predigtwort blicken wir auf Menschen vergangener Tage. Ein Volk befreiter Sklaven läuft in die Freiheit. Ob wir etwas von unserem Geheimnis in diesem alten Bericht finden? Ich sehe zuerst Wandernde. Geschundene Menschen mit leuchtenden Gesichtern. Endlich frei. Durch Gottes Macht in Freiheit gesetzt. Die Knute des Pharao ist zerbrochen. Ich fühle: auch ich gehöre dazu, hinein in diesen Zug der Befreiten, auch ich wurde befreit. Die Knute des Teufels und die Macht der Sünde über mir ist zerbrochen. Durch Jesus. Sein Opfer am Kreuz für mich. Frei durch Jesus – das muss Teil des Geheimnisses sein. Nur wer frei ist, kann zu seiner Bestimmung gelangen. Denn Sklaven müssen ihre Kraft geben für das, was andere bestimmen. Frei von – aber wofür? Welche Bestimmung hat mir Gott zugedacht? Ich sehe das wandernde Volk der Befreiten: Schwache, Starke, Grimmige, Fröhliche – befreit, aber nicht anders geworden. Mir wird an diesem Zug klar – allein für mich werde ich meine Bestimmung weder erkennen noch erreichen. Die Gesichter der Befreiten sind klar, sie wissen, wo´s hingeht. Da ist kein Hüh und Hott. Ihre Vision eint sie: Auf ins Gelobte Land. Das Land, wo Milch und Honig fließt. Sie haben aber keine Übereinkunft aus Begeisterung geschlossen. Die Kraft der Vision dieser Wanderer ist ihr Glaube. Sie glauben der Zusage ihres Gottes: Ich will euch in ein Land führen, da Milch und Honig fließt. Diese fröhlichen, zerlumpten Männer und Frauen sind aus der Sklaverei in die Freiheit, besser, vom Unglauben zum Glauben gekommen. Denn Unglaube ist Sklaverei. Unglaube kettet. Was ich sein muss bestimmen andere Mächte. Angst und Misstrauen sind die Peitschen der Sklaventreiber, Gleichgültigkeit und Egoismus Gitterstäbe. Der Gedanke an Versklavung lässt mich Fragen an unser Heute stellen: Werden wir in unserer Welt aus den heimlichen und unheimlichen Spielarten moderner Sklaverei herausfinden? Gibt es 2021 eine Chance, die Weltgeschichte ohne Wirtschafts- und Glaubenskriege zu gestalten? Werden die Verantwortlichen in der Kirche endlich dem Heiligen Geist mehr Kraft und Wirkung zutrauen? Werden wir 2021 unsere Chancen ergreifen, einander verständnisvoller anzuschauen? Werden wir Leben und Glauben ein freundlicheres Gesicht geben? Diese Fragen nach Gemeinschaft, Liebe, Miteinander waren auch für diese Wüstenwanderer bedeutsam. Sie entschieden, sich der Wolkensäule, Zeichen für Gottes Gegenwart und Führung, anzuvertrauen. Gott mehr vertrauen als sich selbst. 14 Tagesmärsche lag Kanaan, diese wunderbare Fruchtebene entfernt, so nah. Aber die Wolkensäule führte sie weg, in die Wüste – 40 Jahre Wüste. Mussten sie erst für die Freiheit reifen? Es ist ein großer Unterschied zwischen frei werden und frei leben. Freiheit will gelernt sein. In Freiheit Gott vertrauen. Gehorchen aus freiem Entschluss. Diese Freiheit will errungen sein. Und ich sehe dieses große Volk hineinpilgern in die Wüste. Mit verwunderten Gesichtern, wieso Wüste? Sie sind ohne Sicherheit, aber gewiss, sonst würden sie nicht gehen. Sie haben sich entschieden: Glaubensgewissheit ist besser als alle menschlichen Sicherheiten. Wer glaubt, der setzt immer weniger auf Haben und Halten. Wer glaubt lässt ab an Dingen zu hängen. Wer glaubt, hat für sein Leben eine Säule, er rechnet mit der Gegenwart und Führung Gottes. Glaube verleiht zuerst Gewissheit, und viel später erst Sicherheit. Und so wandern die Befreiten voller Gewissheit in ein unsicheres Leben. Sie haben nichts für übermorgen. Jeder Tag bringt die Herausforderung: vertraue – du wirst beschenkt, geführt, gesättigt. Nichts gibt es im Voraus, aber genau dann, wenn es nottut. Vertrauen lernen und Vertrauen schenken ist die größte Herausforderung unseres Jahrhunderts. Auch, oder im Besonderen für die Kirche, das wandernde Gottesvolk. Das Wort Jesu führt uns – wie die Wolkensäule die Hebräer – auf lange Umwege. Sie heißen: Barmherzigkeit, Geduld, Friedfertigkeit, Glaube, Verzeihen, Gebet. Ich sehe vor mir Wüsten, unsere Wüsten: die Lärmwüste, Wortwüste, Beziehungswüste, Neidwüste, Glaubenswüsten. Wüsten haben keine Wege, aber wir werden hineingeführt. Denn dort machen wir die prägendsten Erfahrungen mit Gott. In der Wüste hat Israel das Manna bekommen, dazu Bund und Gebot. Die Geheimnisse Gottes sollten sie in der Wüste finden. Pilger haben ein Geheimnis. Auch wir. Wir können nicht sicher sein, wohin es morgen geht. Aber gewiss: Wir werden geführt. Das ist unser Geheimnis, was uns beflügelt. Auch im neuen Jahr. Amen.

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