Silvester (Oßling)

Silvester (Oßling)

Joh. 8, 31 – 36                                                           Altjahresabend/Silvester – Oßling, am 31.12.2018

„Da sprach Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr in Wahrheit meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Da antworteten sie ihm: Wir sind Abrahams Kinder und sind niemals jemandes Knechte gewesen. Wie sprichst du denn: Ihr sollt frei werden? Jesus antwortete ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht aber bleibt nicht ewiglich im Hause; der Sohn bleibt ewiglich. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei.“

Liebe Gemeinde am Altjahresabend! Wie wird es sein? Wie wird es sein, wenn wir die Wahrheit erkennen? Gibt es da Jubel oder Jammer? Entsetzen oder Erstaunen, Trauer oder Freude, Geschrei oder Gesang? Rufen wir: Hilfe! Oder Hurra!? Jesus spricht über unsere Zukunft, sagt uns etwas voraus – wer wünschte sich das nicht manchmal. Eine Antwort auf die Frage: Was wird, was kommt, was geschieht mir, uns? „Ihr werdet“,sagt Jesus, „ihr werdet die Wahrheit erkennen.“Ist das eine Zusage oder eine Zurechtweisung für 2019? In dieser Frage: Wie wird es sein, wenn ich die Wahrheit erkenne? – spiegelt sich Angst, eine uralte Angst, die in jedem Menschenherzen rumort: Die Angst vor der Wahrheit. Die Psychologie nennt diese Angst „Verdrängen“. Die Bibel berichtet, dass Menschen in Begegnung mit der Wahrheit voller Furcht sind. Ihnen muss, damit sie sich der Wahrheit stellen, erst gesagt werden: „Fürchtet euch nicht!“ 365 x steht dieser Aufruf in der Bibel, die Aufforderung, täglich der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. „Ihr werdet die Wahrheit erkennen.“Erkennen, dieses Wort meint im biblischen Gebrauch ein intimes Verhältnis. „Adam erkannte seine Frau Eva.“ (1. Mo. 4, 1). Um die Wahrheit zu erkennen gilt es, frei zu werden, frei von der Angst vorder Wahrheit. Jesus bindet das Erkennen der Wahrheit an eine Bedingung. „Wenn“– sagt er. Wer diese Be-dingung erfüllt, wird die Wahrheit erkennen. Wer sie nicht erfüllt, wird die Wahrheit verdrängen. „Ihr werdet die Wahrheit erkennen – wennihr bleiben werdet in meinem Wort.“Ich habe die Reihenfolge von bleiben und erkennen vertauscht. So gehen wir Menschen nämlich an die Sache ran. Erst einen Menschen kennenlernen, dann zusammenleben. Erst schau ich mich auf dem Markt um, versuche das beste und preiswerteste Produkt herauszufiltern, dann kaufen. Erst erkennen, dann vertrauen. Jesus kehrt es um: „Wenn ihr bleiben (vertrauen) werdet in meinem Wort … werdet ihr die Wahrheit erkennen.“Das ist sie, die Bedingung, um die Wahrheit zu erkennen: bleiben im Wort Jesu. Die Angst vor der Wahrheit lässt mich das Wort Jesu irgendwohin tun, nur nicht in die Mitte meines Herzens, ja nicht ins Zentrum meiner Person. –Unser Predigtwort ist ein Wort gegen die Angst, ein Ruf zum Glauben. Glaube – dasselbe Wort für Treue – ist hier: Bleiben. Was Jesus mit „Bleiben“ meint, hat zwei Seiten, eine aktive und eine passive. Zwei Bilder verdeutlichen das. „Bleiben aktiv“– da geht einer … halt … da gehen mehrere. Jesus sagt „ihr“, „wenn ihrbleiben werdet“. Da wandern mindestens zwei oder drei einen unwegsamen Gebirgspaß, hoch und runter, an Abhängen vorbei, durch Schluchten und über Bergrücken. Manchmal ist man sich einig, manchmal deutet man die Karte verschieden. Das Ziel scheint noch sehr fern. Die Gefahr, sich zu verletzen, zu erfrieren oder zu verhungern ist gegenwärtig, aber niemals so groß, wie die größte aller Gefahren: zu resignieren, also, entweder den Weg zu verlassen oder auf ihm zu bleiben, aber keinen Schritt mehr tun. „Bleiben aktiv“ – das ist voranschreiten auf diesem einzigen Pfad und meint: Freisein ist ständiges Freiwerden. „Bleiben aktiv“ meint: Verantwortung, Gemeinschaft, Tun. „Bleiben passiv“ – da geht es um Hören und Stille, Empfangen und Ruhe. Eine Bleibe haben, ein Zuhause im Wort Jesu. Eben, wie einer in der Hängematte friedlich eine Pfeife schmaucht und den Duft der Wärme, die Farben des Himmels und der Blumen und den fröhlichen Gesang der Vögel einatmet. Er liest ein schönes Buch und weiß: heute hab` ich frei, sieht den Wein auf dem Tisch, die Freunde auf der Terrasse und die Enkeltochter quengelt um eine Geschichte. Frieden, Leben, Gutsein, bleiben dürfen. – Die beiden Bilder vom Bleiben, aktiv und passiv, drängen sich mir auf, weil Jesu sagt: das Resultat solchen Bleibens ist Freiheit. Daher diese Bilder. Freiheit – da ist einerseits die Vor-stellung von Weite, Weg und Raum. Zugleich aber auch Beziehung, Zuhause, Nähe, Gefühl, Geborgenheit. Das Wort Jesu ist ein faszinierender, lockender Ruf: „Wenn ihr bleiben werdet in meinem Wort … werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.“ Wahrheit, nein – diese Wahrheit hat lösende, befreiende Kraft. Wäre das nicht verheißungsvoll, 2019 so zu durchleben, und nicht nur gelebt zu werden: im Wort bleiben, die Wahrheit erkennen und frei werden. –Geht es euch auch manchmal so, dass euch große Worte zuwider sind? Mir schon. Wie ein Gesunder krank werden kann, werden Worte krank, wenn sie zu Schlagworten werden. Das müssen wir bedenken, wenn wir „Wahrheit“ und „Freiheit“ in den Mund nehmen. Wer sie ausspricht, verbindet damit einen Anspruch auf Menschen, Macht, Leben und Miteinander.Das ist diesem Jesuswort sehr deutlich abzuspüren. Jesus ist mitten in einer Auseinandersetzung. Na klar, er hat einen Anspruch angemeldet, besser denAnspruch: nicht nur die Wahrheit und Freiheit zu kennen, sondern als einziger darüber zu verfügen, wenn er sagt: „Wenn euch der Sohn freimacht, dann seid ihr recht frei.“ – Er redet zu Menschen, die an ihn glauben, wie wir auch. Seine Rede vom Bleiben – Erkennen – Freiwerden löst aber den Widerspruch seiner Anhänger aus:„Da antworteten sie ihm: Wir sind Abrahams Kinder und sind niemals jemandes Knecht gewesen. Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei werden?“ Ihr Gedankengang ist klar und logisch, wenn sie sagen: wir sind durch Abraham Gottes Kinder, sein erwähltes Volk. Sie wissen von der befreienden Kraft des Wortes Gottes, der Thora. Sie wissen um die Gnade der Umkehr, die Gott in seiner Barmherzigkeit gewährt. Sie haben keinen Zweifel, dass Gott allein es ist, der ihre Freiheit bewahrt. Auch halten sie sich nicht für sündlos, sondern der Vergebung Gottes bedürftig.Ich finde es bedenkenswert, dass dies auch genau auf uns Christen heute zutrifft. Um was geht es dann, als Jesus auf ihren Einwand – wir sind frei – antwortet: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, ist der Sünde Knecht. Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. Erst wenn euch der Sohn frei macht, seid ihr recht frei.“ Es geht hier um eine grundlegende Glaubensfrage. Wir streiten darüber, die Kirchen, die Christen jeder Generation:Steht der Mensch über der Sünde oder unter ihr?Jesu Gegner sagen: über ihr, „Wir sind niemals jemandes Knecht gewesen.“Wir erkennen unsere Sünde und wenden uns Kraft unsres Gottvertrauens von ihr ab, treten sie unter unsere Füße. Wir distanzieren uns von ihr, unterstellen uns Gottes Vergebung. Das klingt so klar.Aber Jesus weißt das – vielleicht auch zu unserer Verwunderung – ganz entschieden zurück.Er sagt: ihr meint, ihr tut das Entscheidende. Aber ihr besiegt doch die Sünde nicht, obwohl ihr sie erkennt, euch auf euere Gotteskindschaft beruft und euch unter Gottes Vergebung stellt. – Wenn das so funktioniert hätte – warum hätte dann Jesus kommen müssen?Jesus behauptet hier: alle Menschen sind hoffnungslos der Sünde verfallen und erkennen es nicht einmal, so fromm sie sich auch abmühen.Luther hat es ja so versucht: fasten, beten, Kloster, Entbehrungen. Statt Freiheit, spürte er nur um so deutlicher seine Angst und Ketten. Erst als ihm klar wurde: ich bin ja schon der Sünde entrissen, Jesus hat alle Sünden aller Menschen bereits bezahlt, erkannte er die Verführung des Teufels. Der hielt ihm das Wort Gottes vor, flüsterte:  Du Sünder – tu was gegen deine Sünde. Wie soll dir Gott sonst verzeihen. Gib dir Mühe und bessere dich!Als Luther aufging, dass er kein bessrer Mensch werden musste, sondern alles schon in Jesus hatte, da war er frei. Wer an Jesus glaubt, ist vor Gott so heilig, so rein, so sündlos wie Jesus selber. Das ist wahre Freiheit: vor Gott heilig, rein und sündlos sein. Das aber kann nur Jesus geben. Jesu Gegner bestreiten das: das kannst du nicht, du bist Mensch, Abrahams Kind wie wir.Jesus bleibt bei seinem Anspruch, Gottes Sohn zu sein, die Wahrheit und die Freiheit und antwortet: „Wenn euch der Sohn Gottes frei macht, seid ihr recht frei.“ Ohne Jesus bin ich Knecht der Sünde.Mit Jesus bin ich heilig vor Gott, rein und sündlos – eben frei, vollkommen frei.Das ist die Wahrheit. Sie heißt Jesus.Mit seiner Verheißung gehen wir ins neue Jahr. Er ruft uns zu:„Wenn ihr bleiben werdet in meinem Wort … werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.“ Amen.