Überwinder

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Überwinder

Ostersonntag, 12.04.2020 um 5:30 Uhr

Hallo,

auch ich möchte dich ganz herzlich zu unserem Auferstehungsgottesdienst zu Ostern im Jahr 2020 begrüßen. Wenn du tatsächlich heute früh aufgestanden bist um live dabei zu sein, sei ganz besonders gegrüßt. Schön, dass wir in dieser Stunde miteinander verbunden sind. Aber auch wenn du dir diesen Livestream erst nachträglich anschaust, sei herzlich gegrüßt. Ich weiß nicht, wie viel später du dir dieses Video jetzt anschaust. Vielleicht gerade mal ein paar Stunden, nachdem du gemütlich gefrühstückt hast. Das ist vollkommen in Ordnung. Vielleicht in der Osterwoche danach.

Aber vielleicht schaust du auch nach mehreren Wochen oder sogar Monaten erst dieses Video. Und vielleicht denkst du jetzt, wo du dieses Video schaust, an diese Tage und Wochen zurück, in denen die Welt durch diese Pandemie ausgebremst worden ist. Die Zeit, in der Selbstverständlichkeiten Unmöglichkeiten geworden sind und umgekehrt. Bundesliga-Stopp. Homeoffice. Kontaktsperre. Robert-Koch-Institut bzw. Johns-Hopkins-University, Zoom-Meeting, Livestream-Gottesdienste. Alles Begriffe, die in dieser Zeit inflationären Gebrauch erleben.

Vielleicht sieht das jetzt bei dir, Zuschauer aus der Zukunft, schon wieder ganz anders aus. Vielleicht hat sich die Lage wieder entspannt und die Panik aus unserer Zeit wirkt für dich nur wie ein Schatten aus einer längst vergangenen Zeit. Vielleicht schüttelst du aber auch nur mitleidig den Kopf darüber bei dem Gedanken daran, was uns noch alles bevorsteht. Du siehst die vielen Opfer, die dieses Virus auf dem Gewissen haben wird. Du weißt um die aus unserer Perspektive nicht abzuschätzenden Folgen für unsere Wirtschaft, das Bildungssystem und die gesamte Gesellschaft. Es gäbe vieles, was ich dich gerne fragen würde: Wann wird das alles vorbei sein? Wo werden wir danach stehen? Was sollten wir jetzt am Besten schon tun? Und vor allem: Wann wird es wieder Klopapier zu kaufen geben?

Wir würden manchmal gerne nur ein paar Tage oder Wochen in die Zukunft schauen können. Nur, um für das Hier und Jetzt eine Perspektive zu bekommen. Ich weiß nicht, wie es dir geht, Zuschauer aus der Gegenwart. Aber ich merke, dass mir der Blick in die Zukunft selten so undurchsichtig und bedrohlich erschienen ist wie im Moment. Gleichzeitig weiß ich, dass die Vergangenheit, in der vielleicht nicht alles, aber doch vieles noch irgendwie  in Ordnung war, nicht zurück kommen wird. Und ich stecke in einer Gegenwart fest, in der ich nicht bleiben möchte. Vielleicht fühlst du dich gerade ganz genauso.

Dann lade ich dich jetzt ein mit mir die Geschichte anzuschauen, an die wir uns an diesem Tag erinnern. Denn ich glaube, dass sich die Menschen, die in dieser Geschichte auftreten, ganz genauso gefühlt haben wie wir heute. Gefangen in einer unerträglichen Gegenwart. Ohnmächtig stehend vor einer beängstigenden Zukunft. Mit der Sehnsucht nach einer nicht wieder herstellbaren Vergangenheit. Nur dieses Mal sind wir die Zuschauer aus der Zukunft. Wir wissen um die Pointe des heutigen Tages. Aber wenn wir die Kraft dieser Botschaft in unsere Zeit übertragen wollen, dann tun wir, glaube ich, gut daran, diese Geschichte nicht aus der Vogelperspektive anzuschauen. Sondern auf Augenhöhe von zwei Frauen, die zwei Tage, nachdem ihr bester Freund, ihr Vorbild und ihre ganze Hoffnung grausam hingerichtet und begraben worden ist, auf dem Weg zum Friedhof sind.

1 Als der Sabbat vorüber war, gingen Maria aus Magdala und die andere Maria frühmorgens hinaus an das Grab. Es war Sonntag, der erste Tag der neuen Woche, und der Morgen begann gerade erst zu dämmern.
2 Plötzlich fing die Erde an zu beben. Ein Engel des Herrn war vom Himmel herabgekommen, hatte den Stein vor dem Grab beiseitegewälzt und sich daraufgesetzt.
3 Er leuchtete hell wie ein Blitz, und sein Gewand war weiß wie Schnee.
4 Die Wachposten stürzten vor Schreck zu Boden und blieben wie tot liegen.
5 Der Engel wandte sich an die Frauen: »Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.
6 Er ist nicht mehr hier. Er ist auferstanden, wie er es vorhergesagt hat! Kommt her und seht euch die Stelle an, wo er gelegen hat.
7 Dann beeilt euch, geht zu seinen Jüngern und sagt ihnen, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Er wird euch nach Galiläa vorausgehen, und dort werdet ihr ihn sehen. Diese Botschaft soll ich euch ausrichten.«
8 Erschrocken liefen die Frauen vom Grab weg. Gleichzeitig erfüllte sie unbeschreibliche Freude. Sie wollten sofort den Jüngern alles berichten, was sie erlebt hatten.
9 Sie waren noch nicht weit gekommen, als Jesus plötzlich vor ihnen stand. »Seid gegrüßt!«, sagte er. Da fielen sie vor ihm nieder und umklammerten seine Füße.
10 Jesus beruhigte sie: »Fürchtet euch nicht! Geht, sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa kommen! Dort werden sie mich sehen.«
(Mt.28,1-10; Hfa)

Maria Magdalena und die andere Maria waren zwei Frauen, die mit Jesus unterwegs gewesen waren. Beide hatten in ihrem Leben erfahren, wie mächtig Jesus ist. Maria Magdalena hatte er von mehreren Dämonen befreit. Und wenn es sich bei Maria um Martas Schwester handelt, dann hat sie mit eigenen Augen sehen dürfen, wie Jesus ihren toten Bruder wieder lebendig gemacht hatte. Man kann also sagen, sie hatten schon Unfassbares mit Jesus erlebt. Doch jetzt war dieser Jesus hingerichtet worden und danach so schnell begraben, dass sie nicht mal mehr Zeit hatten seinen Leichnam anständig einzubalsamieren, wie es üblich war. Sie mussten erst den Sabbat abwarten, aber jetzt wollten sie dieses Versäumnis nachholen.

Kann sein, dass dieses Vorhaben der beiden Frauen auf dich total sinnlos wirkt. Was bringt es jetzt noch, zurückzugehen? Jesus liegt doch schon im Grab. Die Chance, ihn einzubalsamieren, ist verstrichen. „Naja“, sagen da vielleicht die Männerstimmen, „es sind eben Frauen. Die brauchen so was Sentimentales.“ Vielleicht ist es ganz gut, liebe Männer, dass die Schreiber der Evangelien sich ziemlich einig sind, dass die vorrangigen Protagonisten der Ostergeschichte größtenteils Frauen sind. Sie begegnen dem Auferstandenen zuerst. Sie sind die ersten Botschafter der Hoffnungsbotschaft. Und sie sind auch diejenigen, von denen wir hier lernen können. Sentimental oder nicht: diese Frauen sind diejenigen, die an diesem Morgen auf der Suche sind nach Jesus. Und sie suchen ihn dort, wo sie ihn zuletzt gesehen haben, auch wenn das vollkommen sinnlos erscheint. Die Botschaft von Ostern ist: Es ist noch nicht zu spät Jesus zu suchen.

Wo hast du Jesus zuletzt gesehen? Wenn das im Gebet war, dann geh zurück ins Gebet. Wenn das im Lobpreis war, dann dreh die Anlage auf oder schnapp dir deine Gitarre und fang an, Gott zu loben. Wenn es beim Lesen der Bibel war, schnapp sie dir und lies darin. Wenn das in der Gemeinschaft mit anderen Christen war, dann ist das jetzt natürlich schwierig. Aber dann ruf einen Freund oder eine Freundin an und frag sie, ob sie mit dir zum Grab kommt, um Jesus zu suchen. Ganz egal, wo du Jesus das letzte mal erlebt hast, ich glaube, das ist der Ort, zu dem Gott dich jetzt ruft.

Komm mit all deinen Enttäuschungen, deinen verpassten Chancen und Versäumnissen. Auch mit all deinen guten Absichten, von denen du glaubst, dass es für sie keine Hoffnung mehr gibt. Lass dein sehnsüchtiges Herz nicht von deinem abgeklärten Verstand davon abgehalten werden, Jesus zu suchen, denn es ist noch nicht zu spät dafür.

Wir wechseln kurz die Perspektive und betrachten das Grab. Noch ist es von den Soldaten bewacht. Doch dann bebt die Erde. Ein Engel Gottes war vom Himmel herabgekommen, hatte den Stein beiseite gewälzt und sich darauf gesetzt. Hell wie ein Blitz, so dass die Soldaten ohnmächtig zu Boden fallen. Und dann richtet der Engel das Wort an die Frauen.

Moment mal! Da fehlt doch ein ganz wichtiges Detail. Eben war das Grab noch verschlossen. Dann ist der Engel gekommen, hat den Stein weggerollt. Und dann ist das Grab leer. An welcher Stelle ist denn jetzt bitte schön Jesus aus dem Grab rausgekommen? Hätten die Frauen ihn in diesem Moment nicht sehen müssen? Wenn die Erzählung so detailliert über die Erscheinung des Engels berichtet, warum fehlt dann die Beschreibung der tatsächlichen Auferstehung?

Mein Tipp: Jesus war schon längst auferstanden. Er hatte das Grab verlassen, als der Stein noch davor lag. Die Wachen haben davon gar nichts mitbekommen. Die haben vielleicht sogar schon mehrere Stunden ein leeres Grab bewacht. Und jetzt sag mir nicht, das sei nicht möglich. Wenn Jesus nach der Kreuzigung von den Toten aufersteht, ist so ein lächerlicher Stein vor seinem Grab, ja wohl kein Hindernis mehr für ihn. Für die Bibelfüchse unter uns: Nachdem Jesus auferstanden ist, ist er den Jüngern erschienen, als die Türen verriegelt waren. „Kann Jesus etwa durch Wände hindurchgehen?“ Schätzchen, der kann sogar durch den Tod hindurchgehen.

Der Grund, warum der Engel so bildgewaltig diesen Stein vor dem leeren Grab wegrollt, ist damit die beiden Frauen mit eigenen Augen sehen können: Das Grab ist leer. Die Botschaft von Ostern ist: Jesus ist bereits auferstanden.

Er ist auch heute bereits auferstanden. Auch heute, wo die Wächter unserer Nation und unserer Welt wieder einmal ohnmächtig sind. Auch heute ist er schon jetzt derjenige, der auch über unsere große Krise triumphiert.

Aber vielleicht stehen wir gerade noch vor undurchdringlichen Mauern oder unüberwindbaren Steinen und da ist kein Engel, der uns den Blick auf das leere Grab eröffnet. Ich zumindest fühle mich gerade so. Ich weiß nicht, wie Gott diese Pandemie und all das, was sie an mittel- und langfristigen Folgen haben wird, dazu gebrauchen will, um seine Macht zu zeigen.

Aber ich bin begeistert davon, zu sehen, wie Christen in ganz Deutschland, ja, in der ganzen Welt, anfangen gemeinsam zu beten. Und ich bete mit, weil ich glaube, dass wir so eine Offenbarung von Gottes Macht dringend brauchen. Wenn die beiden Marias dieses leere Grab gebraucht haben, um das Geschehene irgendwie zu verarbeiten, dann glaube ich, ist es nur verständlich, dass wir so etwas auch brauchen. Ich bete darum, dass Gott übernatürlich eingreift, dass Heilungen geschehen, dass sich Perspektiven über diesen Shutdown hinaus eröffnen, die nicht mit menschlichen Kriterien zu erklären sind. Und ich glaube, so wie ich Gott kenne, wenn er das tut, wird es ganz anders sein, als ich es erwarte. Aber ich sehne mich danach es zu erleben.

Wir merken schon: Diese Osterstationen bauen aufeinander auf. Das leere Grab haben nur diejenigen gesehen, die sich aufgemacht haben, Jesus zu suchen. Oder die den Berichten über das leere Grab gefolgt sind. Und ich hoffe, dass wir uns als Christen möglichst sehr bald an dem leeren Grab  unserer Zeit wieder treffen und wir nicht den Moment verpassen, an dem uns Gott die Perspektive auf die Wahrheit eröffnen will, dass Jesus bereits auferstanden ist.

Das ist aber noch nicht das Ende der Geschichte. Die Frauen bekommen den Auftrag, den anderen Jüngern zu berichten, dass Jesus auferstanden ist. Und dass er ihnen in Galiläa begegnen will. Das Matthäus-Evangelium, das ansonsten sehr sparsam mit der Beschreibung von Emotionen ist, macht sich an dieser Stelle die Mühe uns zu sagen, dass die Frauen gleichzeitig erschrocken und trotzdem voller Freude sind. Es scheint ein Zustand der Zerrissenheit zu sein, in dem sie sich befinden. Dann lesen wir davon, dass sie Jesus selbst begegnen, der den Auftrag der Engel wiederholt. Und ab da schließt sich eine Zeit an, in der Jesus immer wieder seinen Jüngern begegnet. 40 Tage nimmt sich Jesus Zeit, bevor er in den Himmel auffährt. Diese Zeit ist geprägt von diesem Wechselbad der Gefühle. Da gibt es so viel aufzuarbeiten. Maria ist trotz der Botschaft, dass Jesus lebt noch so sehr in ihrer Trauer und Verzweiflung gefangen, dass Jesus ihr noch mal ganz persönlich begegnen muss, um ihr zu zeigen, dass er wirklich lebt und dass er sie kennt. Zwei Jüngern, die das alles nicht richtig verstanden haben, begegnet Jesus, um ihnen Gottes Wort zu erklären und ihnen zu zeigen, wie sehr ihre Herzen doch mit ihm verbunden sind. Da ist Thomas, der das alles nicht richtig glauben kann, bis er Jesus und seine durchbohrten Hände betasten darf. Jesus muss ein seelsorgerliches Gespräch mit Petrus führen, in dem Petrus ganz viel Schmerz über sein eigenes Versagen ablegen und Vergebung annehmen darf. Tatsächlich sitzen die Jünger sogar bis Pfingsten, also noch mal zehn weitere Tage immer noch und immer wieder in ihren Häusern, bis der Heilige Geist kommt, und sie diese Botschaft von Ostern in die Welt tragen. Man könnte ja denken: Mit Ostern ist alles wieder gut. Aber die Botschaft von Ostern ist: Es ist noch nicht alles gut.

Und das klingt jetzt vielleicht im ersten Moment wenig tröstlich, zumal es mein dritter und letzter Punkt ist. Aber wenn ich etwas darüber nachdenke, finde ich es sogar sehr tröstlich. Wir sehen es doch gerade in der Welt: Es ist noch nicht alles gut. Ganz im Gegenteil. Auch nicht bei uns Christen. Und einen Livestream-Gottesdienst zu Ostern abzuhalten, ist bestimmt noch nicht der Zenit von Gottes Hoffnungsbotschaft.

Es ist noch nicht alles gut. Und deshalb müssen wir als Christen mit Ostern auch nicht so tun, als wäre es das. Ja, wir glauben, dass Jesus auferstanden ist. Aber da ist auch in unserem Leben noch so viel zu tun. Vielleicht trägst du gerade Trauer, so tief, dass selbst die Botschaft von Ostern nicht durchdringen kann. Dann wünsche ich dir, dass Jesus dich in dieser Situation mit deinem Namen anspricht und du erleben darfst, dass er wirklich da ist. Für dich. Vielleicht verstehst du das alles noch nicht, möchtest am liebsten den Ort des Geschehens verlassen wie die Jünger, die nach Emmaus gehen wollten. Dann wünsche ich dir, dass du die Einladung Gottes verspürst, dass er dir in seinem Wort zeigen will, was dich an Missverständnissen noch quält. Vielleicht hast du angesichts der aktuellen Situation Zweifel daran, dass Gott wirklich den Sieg und die Kontrolle auch im Jahr 2020 hat. Dann wünsche ich dir, dass Jesus dir begegnet, wie er Thomas damals begegnet ist und du wirklich erspüren kannst, dass es wahr ist. Und vielleicht klagst du dich noch immer selbst an und möchtest Jesus am liebsten nicht in die Augen schauen, weil du dich so sehr schämst. Dann wünsche ich dir, dass Jesus dir seine Vergebung zusprechen kann, du ihm wieder in die Augen schauen kannst und er dich einsetzen kann für das, was er mit dir tun möchte.

Jetzt, wo wir wenig Kontakt mit anderen Menschen haben dürfen, ist die Zeit, über all diese Dinge mit Jesus in Kontakt zu kommen. Gott möchte diese Zeit gebrauchen, um uns zu verändern, um uns zuzurüsten und uns auszustatten mit dem Heiligen Geist.

Denn irgendwann werden wir wieder rausgehen dürfen. Und dann lasst uns das mit dem überzeugten Bekenntnis tun:

Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.

Amen.

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