Weidet die Herde Gottes (Oßling)

Weidet die Herde Gottes (Oßling)

1.Petr 5, 1-4                                                 Misericordias Domini – Oßling, am 15.04.2018

 

„Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern als Vorbilder der Herde. So werdet ihr, wenn erscheinen der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen.“

 

Liebe Gemeinde! Führen und geführt werden. Sich selbst führen. Andere führen: „Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist.“ Dazu ein paar Sätze von Martin Luther:  „Ein Schaf hat die Natur und Eigenschaft vor allen anderen Tieren, dass es ein scharfes Ohr hat. … Auf solche Art und Eigenschaft sieht Christus hier, und spricht: solche Tiere habe ich auch; denn ich bin ein Hirte, und meine Schafe haben auch die Art an sich, dass sie meiner Stimme sehr gewiss sind und kennen. Darum, wo meine Stimme nicht ist, da bringt sie niemand hin. Will uns also lehren, wenn wir seine Schafe sein wollen, so müssen wir auch so gute Ohren haben, welche die Stimme Christi von allen anderen Stimmen absondern, sie sei noch so hell und schön, oder freundlich.“ Wir blicken damit auf unseren großen Hirten Jesus: „Der Herr ist mein Hirte.“ Wie führt er? Durch Hingabe und Liebe. Jesus gab sich Gott hin und den Menschen. Von dem Geheimnis seiner Kraft bezeugte er: „Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen meines Vaters im Himmel.“ Und was seine Hingabe an die Menschen betrifft sagte und lebte er: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele.“Jetzt sind die Bischöfe, die Synode, Pfarrer und Kirchvorsteher angesprochen: „Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist.“Genauso wie Jesus, hier „Erzhirte“ genannt, schauen wir auf Gottes Wort. Lassen uns, durch das Wort der Heiligen Schrift, von Jesus führen. „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“Von Jesus Geführte können andere führen. Wer Wege der Hingabe und Liebe weisen will, muss sich vorher auf diesen führen lassen und sie abschreiten. Jesus vertraut dir. Vertraut dir sein Wort an. Wenn du ihm mit Vertrauen antwortest, vertraut dir Jesus sein Herzensanliegen an: Trage Hingabe, Liebe, Barmherzigkeit und Erbarmen in die Welt. Solche Menschen, uns stehen einige vor Augen, sind unsere wahren Vorbilder. Sie haben uns vor Augen geführt, was dieser Satz bedeutet, für eine Tiefe hat: „Nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Gemeinde.“Vorbild durch Hingabe. Da gilt: Wer hingibt, ausgibt, muss auch einnehmen. Wer Christus in der Gemeinde dienen will, muss zuvor Christus an sich dienen lassen. Wer liebt, muss sich auch lieben lassen, Liebe annehmen. – Will ich anderen die immense Bedeutung des Gebetes deutlich machen, gelingt es nur denen, die selbst Beter sind. Wer Gottes Reden durch die Schrift hören und auch verstehen will, muss zuvor die Schrift kennen. In der Schrift bleiben, mit und aus ihr leben. Lernen, was der Herr will. Die Hirtenschule könnte man so beschreiben: „Ich bat um Stärke, aber er machte mich schwach, damit ich Bescheidenheit und Demut lernte. Ich bat um Hilfe, um große Taten zu vollbringen, aber der Herr schwieg dazu, damit ich gute Taten vollbrächte. Ich bat um Reichtum, um mich sicher zu fühlen. Aber er versagte mir Reichtum, damit ich weise würde. Ich bat um Dinge, damit ich das Leben genießen könne. Er aber gab mir das Leben, damit ich alle Dinge genießen könne. Ich erhielt nichts von dem, was ich erbat – aber alles, was gut für mich war. Gegen mich selbst wurden meine Gebete erhört. Ich bin wahrlich ein gesegneter Mensch.“ – Der russische Schriftsteller Tolstoi erzählt, dass er eines Tages auf einem Spaziergang einem Bauern begegnete und sich zwischen ihnen ein Gespräch entspann. Der Bauer sagte zu Tolstoi: „Ich lebe für Gott.“ Über diese Begegnung schreibt Tolstoi: „Ich habe so viel Wissen, eine so hohe Bildung, und es gelingt mir nicht, dieselben Worte zu sagen wie dieser Bauer. Er vermag den Grund, den Frieden seiner Seele in diese vier einfachen Worte zu kleiden.“ Das ist es, was die Hirten brauchen: „Ich lebe für Gott.“ Die Rückseite dieses Hirtenprinzips heißt: „Ich lebe für die Herde.“ Die Sorge um die Herde soll bestimmt sein von ihren Bedürfnissen. Was sie brauchen ihnen geben: Wertschätzung, Respekt, Ermutigung. Zeit. Zeit haben. Hören. „Weint mit den Traurigen, freut euch mit den Fröhlichen.“ Grüne Auen und frisches Wasser – gute Worte, erfrischende Gemeinschaft. Und das dunkle Tal? Da geht es ums da sein. So wie Gott in den Finsternissen bei mir bleibt. Da sein. Aushalten. Leid, Kummer und alles Dunkel mit tragen. Das ist „die Herde weiden“. In dem Buch „Glaubensmoment“ von Hanns-Josef Ortheil, muss Ende der 1940er-Jahre ein Vater nun schon seinen vierten Sohn innerhalb von acht Jahren begraben. Die Ehefrau und Mutter des Sohnes hat keine Kraft, schon wieder zum Friedhof zu gehen. Der Pfarrer, ein Freund der Familie, auch nicht. Er bittet den Nachbarpfarrer um diesen Liebesdienst. Aber auch dieser Pfarrer, der Schwere dieser Aufgabe wohl bewusst, hat bei der Beerdigung kaum noch Kräfte. Am Grab versagt ihm die Stimme. Er will trösten, kann aber nicht. Es herrscht ein beängstigendes Schweigen. Lange herrscht es und beherrscht die Gemüter. Nach einer, die Gemeinde quälenden Zeit, tritt der Vater des verstorbenen Jungen aus der Gemeinde heraus, geht zum Grab, faltet seine Hände und spricht: „Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich …“, und spricht laut und deutlich den ganzen Psalm 23. Die Gemeinde ist ergriffen von dieser Stärke des Augenblicks. Und der Schriftsteller Ortheil denkt heute, siebzig Jahre später, wie hier einer freiwillig die Herde Gottes geweidet hat: „Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist: achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund.“ Hirten werden geführt. Können so führen. Und der Hirtenlohn? Wer tut, wozu er von Gott berufen, erlangt seine Bestimmung. Der Lohn für unsere Mühen ist nicht das, was wir dafür bekommen. Sondern das, was wir dadurch werden. Amen.

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