Weihnachtsgottesdienst

Weihnachtsgottesdienst

1Joh 3, 1-2                                                    1./2. Weihnachtsfeiertag – Oßling/Großgrabe, am 25./26.12.2021

„Seht! Welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“

Liebe Gemeinde! Weihnachten ist ja gefühlt so etwas wie eine Familienaufstellung. Wer fährt wann wohin? Wer mag wen besonders? Und wen eher nicht? Wird alles gut gehen am Heiligen Abend? Man hat einfach zu viel gehört oder gelesen, um noch ganz unbefangen zu sein – vor allem, wenn es um das Zusammenspiel mehrerer Familien und Eltern geht.  Das Predigtwort heute klingt so, was man eine Familienaufstellung nennen könnte. Wenn Eltern mit Kindern zu einer Familienberatung kommen, gibt es das manchmal. Der Berater oder die Beraterin bittet die Anwesenden, sich so aufzustellen, wie sie sich in der Familie fühlen: Wem sind sie näher, wem ferner? Wer ist eher eine Hilfe oder eine Last? Die Aufstellung als Bild hilft, sich besser zu verstehen im Ganzen der Familie: Wie genau gehöre ich dazu oder nicht? Besonders schwierig wird es, wenn man das Kommen des Festes erfolgreich verdrängt und dann „plötzlich“ vor den Fragen steht, die man lange aufgeschoben hatte. Dann gibt´s Krach und Streit und Verdruss. Die biblischen Weihnachtstexte helfen uns dabei, uns nicht zu überfordern. Lukas und die anderen Evangelisten erzählen keine heile Welt und keine heile Familie. Das lesen wir vermutlich eher hinein, weil wir es uns wünschen. Die Heilige Familie war keine heile Familie. Josef zögert lange, ob er bei Maria bleiben soll; die Hirten treffen auf zwei Erwachsene, die sich neu erfinden müssen nach der Geburt – die Zeit dazu fehlt ihnen dann aber, weil sie zur Flucht genötigt werden. Wenn etwas heil ist an der Heiligen Familie, dann das, was auch uns helfen könnte: Sie haben einander ertragen, in einer gewissen Würde. Sie haben sich nicht besser machen wollen, als sie sind. Sie haben, was ich vielen wünschte, einander nicht erziehen wollen zu etwas angeblich Besserem. Vielleicht könnten wir Besucher der Weihnachtsgottesdienste uns einander mit solchen Gedanken etwas entlasten: Erwartet von anderen nicht, was nicht zu leisten ist; verzichtet selber auch auf manche Interessen. Es könnte sein, dass dann etwas mehr Frieden wird – im eigenen Herzen und im gemeinsamen Feiern. Jedenfalls geht es hier um Vater, Kinder und Zusammengehörigkeit. Auch um Verunsicherung, wie es um die Beziehung steht. Unser Predigtwort beginnt mit einer therapeutischen Einleitung. Alle haben sich aufgestellt. Mancher weiß genau, dass er richtig steht, andere sind unsicher, machen einfach mit. Der Therapeut sagt jetzt: Okay, jetzt schauen wir uns das mal gemeinsam an. Im biblischen Wortlaut hören wir die Aufforderung: „Seht!“ Wir schauen hin. Drei Alpha-Tiere, die Dominan-ten drängeln sich in der Mitte des Raumes, es ist fast wie ein stiller Streit. Sie wollen nicht beieinander stehen, aber die Mitte haben. Die Erschöpften stehen außen, manche mit dem Rücken zur Mitte, als wollten sie sagen: Lasst mich einfach in Ruhe. Einer hat sich hingesetzt, die Hände gefaltet, ob er betet: Kyrie eleison? Zwei haben sich mit dem Rücken aneinander gelehnt. Es gibt auch grimmige Gesichter. Und verschränkte Arme. Abwarten, ob die Wahrheit, was man in Wahrheit fühlt, mal rausdarf, ohne dass man dann in die Ecke muss. „Seht!“ „Schaut euch das an“, sagt der Berater, „so fühlen sich eure Beziehungen an. Man stellt sich so auf, wie man sich zu den anderen fühlt. Sehen wir etwas? Von Bedeutung für uns?“ Ob zum Anschauen auch das reden kommen darf? Dass man sich fragen lässt: Warum? Und den anderen fragen darf. Wahrheit anschauen ist schwer. Wahres sagen, denke ich, noch schwerer, wenn es um Verletzungen, Demütigungen, Enttäuschungen und seelische Schmerzen geht. „Seht!“ Wir stellen uns vor, wir sind jetzt dran. Wir stellen uns so zueinander in diesen Raum, wie wir uns nah oder fern fühlen, ärgerlich oder dankbar. Wie würde sich dieser Raum verändern? Würde etwas Wahres über unsere Beziehung zu- und miteinander erkennbar? Wo würdest du dich hinstellen, hier im Kirchenraum? Und ich selber? Ich wäre anfangs verunsichert. Ich entnehme es unserm Predigttext: „Wir sollen Gottes Kinder heißen.“ Das klingt fast wie „eventuell“ und „eigentlich“. Und das nehme ich auch so an. Ich bejahe die Verunsicherung. Sie liegt in meinem Naturell. Nicht selten bin ich verunsichert über den Stand meiner Beziehungen: Wie steht´s mit Gott und mir, in der Gemeinde, meiner Kirche. Wie fern oder nah sind, fühlen wir uns. Wohin mit dem ganzen Ärger? Was sind wir einander wert? Ich höre auf den Unterton im biblischen Wort, auf dieses „eigentlich“: „Seht! … eigentlich sollen wir Gottes Kinder heißen.“ Etwas seltsam. Als würde der Therapeut von allen Teilnehmern gefragt werden: Jetzt sagen Sie doch endlich mal, was ihnen an unserer Aufstellung deutlich wird! Und der sagt nur: „Sie haben sich so aufgestellt, als wüssten sie nicht, worin Ihre Identität besteht und worin sie ruht, und was sie aneinander bindet; ich erkenne keine gemeinsame Mitte.“ Das halten wir fest. Ein Berater ist einer, der von außen draufschaut. Die Gemeinde ist Familie, darin gibt´s große Übereinstimmung. Was sehen Menschen, die von außen draufschauen? Das könnte doch auch hilfreich sein; oder? Gut. Aber wir sind noch nicht fertig. Ich auch nicht, habe ja nur von meiner Verunsicherung gesprochen. Sie besteht auch darin, dass die meisten der Gemeindefamilie nicht gekommen sind. Das wird mir schmerzhaft klar. Oder ist es mir schon egal, weil ich es eh nicht ändern kann? Warum noch Kraft und Gedanken verschwenden? Auch das gehört zur Aufstellung: das Fernbleiben. Was bedeutet den Anwesenden das Fernbleiben der anderen? Ich denke an die Worte des Beraters und frage mich: Was ist meine Identität in der Familie „Gemeinde“? Was ist die „gemeinsame Mitte“? Ich suche mir jetzt meinen Platz im Kirchenraum, weiß, wo ich hingehöre. Ich stelle mich in den Altarraum. Dort sind Kreuz, Taufbecken, Altar, Bibel – daran mache ich meine Identität fest. Durch sie bin ich, wer ich bin. Dort ist auch meine Mitte. Fertig. Was ich daraus mache, bleibt noch offen, aber das ist mein Platz. Ich bin Gottes Kind und Gott ist mein Vater. So einen Satz sagen ist das Eine. Es glauben und daraus leben das Andere. Aber Gottes Wort versichert mir, dass ich richtig liege: „Seht! Welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!“ Verunsicherung und Bestätigung: „Und wir sind es auch!“ Warum dieser lange Anlaufweg über das Thema „Familienaufstellung“? Weil der Weg lang ist. Unsere Kindschaft ist fertig, aber noch nicht vollendet: Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ So, die Sitzung ist geschlossen. Ich behandle mich und euch ab jetzt als das, was wir sind: Gottes Kinder. Fröhliche Weihnacht! Amen.

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