In letzter Zeit sind Triggerwarnungen in Mode gekommen. Die tauchen vor Audio- und Filmbeiträgen auf, um vor gefährlichen Inhalten zu warnen. Deshalb auch heute vor der Predigt eine Triggerwarnung. Es besteht die Gefahr, dass sie unter die Haut geht und dann Dinge rührt, die schmerzhaft sind. Aber keine Angst. Der Heilige Geist wird dich begleiten.
Ich möchte kurz mit euch beten. Vater, wir bitten dich, mach unsere Herzen bereit für dein Wort. Wir bitten dich, Heiliger Geist, begleite uns durch die Zeit der Predigt und zeige uns, was für unser Herz wichtig ist. Amen.
Es war alles in Ordnung. Max Mustermann lebte ein gutes Leben. Er lebte ein frommes Leben. Das war schon immer so. Soweit er sich erinnern konnte, war Gott für ihn schon immer Realität. Er versuchte ihm zu gefallen und Gott schien ihn zu segnen. Er war erfolgreich im Büro, hatte eine schöne Frau und großartige Kinder. Doch dann von heute auf morgen war alles anders. Bei einer Routine Untersuchung war es festgestellt worden. Ein weit fortgeschrittener Tumor. Schon gestreute Metastasen, keine Chance. Vielleicht noch ein Jahr, wahrscheinlich eher kürzer. Mit einem Mal brach alles zusammen. Max verstand die Welt nicht mehr, verstand Gott nicht mehr. Wie konnte er ihm das antun und seiner Familie? Die alte Frau Meyer von nebenan, die wünschte sich seit Jahren zu sterben und konnte es nicht. Was dachte Gott sich dabei? Wo war seine Liebe? Wo war sein himmlischer Vater, der ihn liebte? War alles ein Irrtum?
In der Bibel hat Max Mustermann einen Namen. Er heißt Hiob. Für mich ist das Buch Hiob faszinierend, denn es ist grundehrlich und schonungslos offen. Wir lesen am Anfang Gott der Herr erwiderte, dann ist dir sicher auch mein Diener Hiob aufgefallen. Ich kenne keinen zweiten auf der Erde, der so rechtschaffen und aufrichtig ist wie er, der mich achtet und sich nichts zu Schulden kommen lässt. Und hier bist gesund. Es geht ihm gut. Er ist reich, hat zehn Kinder und eine schöne Frau… . Und dann an einem einzigen Tag ändert sich alles. Feindliche Stämme rauben sein Vieh und erschlagen seine Knechte. Ein Wirbelsturm zerstört das Haus, in dem seine Kinder feiern. Sie sterben alle. Wenig später erkrankt auch er noch an einer bösen Hautkrankheit. Für Hiob zerbricht alles.
Hiobs Botschaften sagen wir noch heute, wenn wir schlechte Nachrichten bekommen. Hiob ist fertig mit der Welt. Wir lesen, dann erst begann Hiob zu sprechen. Er verfluchte den Tag seiner Geburt und sagte, ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren wurde und auch die Nacht, in der man sagte, es ist ein Junge. Für Hiob ist klar, das wars. Jetzt werde ich sterben. Aber er will nicht einfach gehen. Er fordert Rechenschaft von Gott. Er fordert Auskunft. Warum Gott tust du mir das an? Warum verfolgst du mich? Wo ist meine Schuld? Weise sie mir nach. Er fordert Gott zu einem Rechtsstreit heraus. Und dann bekommt er auch noch Besuch von seinen Freunden, die aber größtenteils wenig hilfreich waren, mit denen er sich auch noch auseinandersetzen muss.
Aber was habe ich mit Max Mustermann oder mit Hiob zu tun? Nun, wenn es um Schicksalsschläge geht und die Frage nach der Allmacht und der Liebe Gottes, dann kann ich mich nicht hinter anderen verstecken. Dann wird es immer persönlich, geht es immer um mich. Und deshalb will ich mich nicht verstecken, sondern von mir, von uns erzählen.
Wir waren jung, seit einem Jahr glücklich verheiratet und schwanger. Die Schwangerschaft war schwierig verlaufen, aber jetzt hatten wir es ja bald geschafft. Nur noch wenige Tage bis zur geplanten Geburt. Die Wohnung war hergerichtet, Stubenwagen, Kinderbett und alles, was man so braucht. Und dann gab es keine Kindsbewegungen mehr. Wir mussten in die Klinik nach Reckewitz. Dort gab es damals das einzige Ultraschallgerät weit und breit. Wir brauchten jemand, der uns fährt, denn ein Auto hatten wir nicht. Am nächsten Tag in der Klinik die Bestätigung. Unser Kind war tot, gestorben vor der Geburt… . Ich musste meine Frau allein im Krankenhaus lassen, denn Väter im Kreißsaal waren damals undenkbar. Sie brachte unser totes Kind zur Welt, das eine massive Herzschädigung hatte. Wir mussten darum kämpfen, um unser Kind in einem eigenen Grab beerdigen zu dürfen. Ich musste unser Kind allein beerdigen, meine Frau war ja noch im Krankenhaus.
Und dann die Familie und Freunde, wenig hilfreich. Sätze wie, ihr seid doch noch jung. Ihr könnt noch viele Kinder bekommen. Oder, wer weiß, wozu es gut war, so behindert, wie es gewesen wäre. Oder reiß dich zusammen, das Leben muss weitergehen. Wie konnte das sein? Mein Herz war verletzt und ich habe es versteckt und mich in die Arbeit geflüchtet. Erst viel später ist vieles aufgebrochen und geheilt worden.
Was tun wir, wenn unser Herz schreit? Wenn das Leben uns Wege führt, die uns nicht gefallen, die uns den Boden unter den Füßen wegziehen. Ich will versuchen, das Dilemma ehrlich zu beschreiben.
Ist Gott allmächtig? Ja. Jedes Mal im Glaubensbekenntnis spreche ich diese Wahrheit aus. Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Das ist mein Gott. Der eine, der von sich selbst sagt, dass niemand neben ihm ist. Und dazu kommt, dass ich glaube, dass mir dieser Gott als liebender Vater begegnet. Das hat mir Jesus gezeigt. Der große, ewige, der König der Welt will mir Vater sein. Aber Vati, Papi, was kann mir denn passieren? Ich habe einen Vater, der mich lieb hat und der alle Gewalt hat im Himmel und auf Erden. Wir betonen jedes Mal bei der Taufe, dass wir jetzt zu Gott gehören. Paulus schreibt im Römerbrief, nichts in der ganzen Schöpfung kann uns von der Liebe Gottes trennen, die uns verbirgt ist in Christus Jesus unserem Herrn. Ihm habe ich mein Leben, das Leben geliebter Menschen, das Leben meiner Kinder anvertraut. Ist das nicht Lebensversicherung genug? Und dann habe ich diesen meinen Vater vielleicht angefleht, weil ich schwer krank bin, weil ein lieber Mensch schwer krank ist… . Ich habe gefleht und gebetet und er hat nicht eingegriffen.
Was tun wir, wenn uns die Tiefschläge des Lebens treffen? Wie kann das sein, wenn Gott mein liebender Vater ist? Wenn Gott allmächtig ist, hätte er es verhindern können. Ergo trägt der Schuld an meinem Unglück. Wie soll ich damit umgehen? Wie soll ich ihm das verzeihen, dass er nicht eingegriffen hat, obwohl er es gekonnt hätte.
Ich will versuchen einen Weg zu skizzieren, den ich für gangbar halte.
Erstens, sei ehrlich. Bei Hiob lesen wir im Kapitel 7 Vers 11. Nein, ich will kann nicht schweigen. Der Schmerz wühlt in meinem Inneren. Ich lasse meinen Worten freien Lauf, ich rede aus bitterem Herzen. Lass deine Gefühle zu. Und wenn du wütend auf Gott bist, lass es raus. Schrei es heraus, schrei es Gott entgegen. Er hält das aus. Wenn du verletzt und enttäuscht von Gott bist, lasst diese Bitterkeit ans Licht kommen. Klage, weine, klage an. Hiob sagt, mein Leben ekelt mich an. Darum will ich der Klage freien Lauf lassen und mir die Bitterkeit von der Seele reden. In frommen Kreisen ist es oft ein Tabu. So kann man doch von Gott nicht reden. So kann man doch mit Gott nicht reden. Und dann macht man den Geschwistern noch ein schlechtes Gewissen. Sei demütig. Nimm an und trage, was der Herr für dich vorgesehen hat. Gott macht keine Fehler. Es wird schon etwas für etwas gut sein. Da kommt mir die Galle hoch, denn wir schlagen auf den, der schon am Boden liegt weiter ein. Dabei ergreifen wir scheinbar für Gott Partei, aber eigentlich kaschieren wir nur unsere eigene Sprachlosigkeit. Lasst uns ehrlich werden und zu dem stehen, was uns passiert ist, was uns verunsichert, enttäuscht und verletzt hat. Gott will uns als gegenüber und deshalb hält er es aus, wenn wir uns öffnen und herausschreien, was in uns ist.
Zweitens, klammere dich fest. Hiob ist wütend, verzweifelt, verletzt, enttäuscht, aber er wendet sich nicht von Gott ab. Er geht mit ihm ins Gericht. Er fordert einen Rechtsstreit, aber er hält an ihm fest… . Für Hiob ist klar, es gibt nur einen Adressaten für meine Klage. Und deshalb ringt er mit Gott. Er hat keinen anderen. Es gibt keinen anderen. Gott ist für ihn alternativlos. Im Kapitel 19 lesen wir, ach, würden doch meine Worte in einer Inschrift festgehalten, in Stein gemeißelt und mit Blei noch ausgegossen, lesbar für alle Zeiten.
Doch eines weiß ich, mein Erlöser lebt. Auf dieser Todgeweihten Erde spricht er das letzte Wort. Auch wenn meine Haut in Fetzen an mir hängt und mein Leib zerfressen ist, werde ich doch Gott sehen. Ja, ihn werde ich anschauen, mit eigenen Augen werde ich ihn sehen, aber nicht als Fremden. Danach sehne ich mich von ganzem Herzen. Wenn dir schlimmes passiert, lass Gott nicht einfach davon kommen. Wirf ihn nicht einfach über Bord. Klammere dich an ihn fest. Schreie, klage, sei verzweifelt und verletzt, aber halte Gott fest. Er ist der einzige, der dich hindurchtragen kann. Er will und wird dich hindurchtragen, auch wenn du dabei weinend und klagend auf seine Brust einschlägst.
Drittens, gib deinem Glauben eine Chance. Am Ende des Hiob Buches, als Gott sich auf die Herausforderung Hiobs eingelassen hatte, bekennt Hiob, Herr, ich kannte dich nur vom Hören sagen. Jetzt aber habe ich dich mit eigenen Augen gesehen. Der Mensch, von dem Gott sagt, er sei der frömmste, bekennt, ich kannte Gott nicht wirklich. Das erfahrene Leid, die Auseinandersetzung mit Gott haben Hiob in eine Weiterentwicklung seiner Gottesbeziehung geführt. Sein Glaube, seine Beziehung zu Gott ist reifer, ist tiefer geworden. Er sieht Gott noch einmal ganz anders.
Wirf deinen Glauben nicht weg, weil du Gott nicht mehr verstehst. Versuche es auszuhalten und andere neue Seiten Gottes zu erkennen. Es gab Zeiten, da war ich mir über Gott und wie er ist und was er will, sehr sicher. Es war ein feines, kompaktes Bild. Es war alles klar. Heute weiß ich vor allem eines. Gott ist der ganz andere. Er ist für mich immer wieder neu… . Immer wieder entdecke ich Seiten, die auch zu ihm gehören. Und bis ans Ende meines Lebens werde ich ihn niemals vollständig erkennen. Ich muss damit leben, dass er für mich unverfügbar bleibt. In einem Moment unendlich nah, mein Herz berührend, im anderen Moment unendlich fern, mir fremd, nicht fassbar. Er ist der unverfügbare Gott. Aber er ist für mich alternativlos. Ich habe keinen anderen. Es gibt keinen anderen. Deshalb gib in aller Verletzung und Verzweiflung deinen Glauben, deiner Beziehung zu Gott eine Chance. Erlaube ihm das Bild, das du von ihm hast, zu verändern, zu erweitern. Erlaube ihm dich zu verändern.
Was heißt das alles für mich und vielleicht auch für dich? Für mich ist klar, alles kommt aus Gottes Hand. Im Psalm 139 heißt es, du sahst mich schon, als ich ein einziger Knäuel in meiner winzig kleinen Zelle war. Und bevor mein erster Tag begann, stand mein Leben längst in deinem Buch. Ich verstehe dies nicht als vorherbestimmtes Leben, das ich nur abarbeiten kann, sondern so, dass Gott, der außerhalb der Zeit ist, mein Leben schon gesehen hat, bevor es mir passiert. Deshalb weiß ich, alles, was mir widerfährt, was mich überrascht und mir den Boden unter den Füßen wegzieht, kommt für Gott nicht überraschend. Er wusste es vorher. Es musste an ihm vorbei. Und auch wenn ich vieles nicht verstehe, was er in meinem Leben zulässt, möchte ich mich doch auf die Aussage Hiobs stellen, der sagt, wenn Gott uns Gutes schickt, nehmen wir es gerne an. Warum sollen wir dann nicht auch das Böse aus seiner Hand nehmen? Ich klammere mich deshalb an den Felsen, dass Gott mein Vater ist, der mich liebt. Egal, was passiert. Egal, ob ich es verstehe, davon gehe ich nicht ab. Er ist und bleibt mein Gott. Und weil er mich liebt, darf ich vor ihm ehrlich sein. Und ich darf ihm sagen, wie es mir mit ihm geht. Ich habe erlebt, dass er mich hindurchträgt. Dies wünsche ich dir auch. Amen… .
Und der Friede Gottes, der viel größer ist als all unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.