Wenn ich schwach bin, so bin ich stark (Oßling)

Wenn ich schwach bin, so bin ich stark (Oßling)

2Kor 12, 1-10                                                                                           Sexagesimä – Oßling, am 04.02.2018

„Gerühmt werden muss; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht. Oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es auch nicht. Gott weiß es – da wurde derselbe entrückt in den dritten Himmel. Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib oder außerhalb des Leibes gewesen ist, weiß ich nicht. Gott weiß es. Der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“

Liebe Gemeinde! Lieber Bruder, liebe Schwester! Du bekommst genug! So höre ich die Antwort, die Paulus von Gott erhielt. Du bekommst genug: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ – Unser Glaube an Christus hat zwei Seiten. Außen und innen. Außen – da haben wir im Gottesdienst, Heiligem Abendmahl, im Wort Gottes, im Tun des Guten Gemeinschaft. Die Innenseite unseres Glaubens ist die ganz private Beziehung zu Christus im Herzen. Paulus gewährt uns hier Einblick in sein inneres Glaubensleben. Sein Ringen. Seinen Weg mit Christus. Er will mit seinen Glaubenserfahrungen nicht prahlen, sondern einen Verdacht ausräumen. Sein Glaube an Christus wurde verdächtigt. Maßgebliche Leute in der korinthischen Gemeinde sagten: Wir glauben dir deinen Glauben nicht. Das ist ein erster Hinweis für uns – ein Miteinander gelingt nur unter der Voraussetzung: Ich glaube dir deinen Glauben. Paulus ist jedenfalls am Ende mit seinem Latein. Was soll er gegen den Verdacht tun, der da lautet: Du bist Apostel, willst Bischof sein – aber wo ist, bitte schön, dein Glaube? Wunder, Vollmacht, brillante Verkündigung sehen und hören wir bei dir nicht. Große Massen bekehren sich nicht. So entschließt er sich zu einem letzten Schritt und berichtet von seiner Vision, der Schau des Paradieses. Und über seine körperliche Gebrochenheit redet er. Von unerhörten Gebeten und einer unerhörten Erhörung und schreibt: „Damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich wegen der hohen Offenbarun-gen nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Vor kurzem hielt ich eine humorvolle, ernste Zeichnung in den Händen. Eine junge Frau beim Wäscheaufhängen, in der Hand ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Born to be wild“ „Geboren um wild zu sein“. Über der Frau eine Gedankenblase: „Das Hinderlichste im Leben ist doch der Alltag“. Das Bild ist so witzig wie wahr. Während sie die Wäsche aufhängt und das Hemd mit der krassen Aufschrift „Born to be wild“ in der Hand hält, bejammert sie ihre Wirklichkeit: Den banalen Alltag, das ewige Einerlei. Das Alltägliche, so meint sie, hindere sie, wirklich wild zu sein. Leben ist meist nur ganz wenig wild. Leben ist Wäsche waschen, Kartoffeln schälen, die Wohnung putzen, arbeiten gehen, Rechnungen bezahlen, einkaufen … und dann? Dann muss man sich damit versöhnen – oder man reibt sich auf und verzweifelt. Paulus hat sich versöhnt. Nachdem er von Christus vor Damaskus in ein anderes Leben gerufen worden war, beginnen seine Mühen des Alltags: reisen, predigen, auf taube Ohren stoßen, im Gefängnis sitzen für Jesus, kleine Erfolge erzielen, weitereisen – kein besonders spektakuläres Leben. Schließlich rühmt er sich sogar seiner Schwachheit. Er ist soweit, dass er auch seine Schwachheit angenommen hat. Das meint Paulus im doppelten Sinne, wenn er schreibt: „Darum will ich mich am allerliebsten meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi in mir wohne.“ Einerseits gesteht er ein: Ich kann nicht mehr. Andererseits weiß er, dass seine Schwachheit von Gott hochgeschätzt wird. In der menschlichen Schwachheit – wie geheimnisvoll – wohnt die Kraft Christi.  Denn Gott, sein Gott, hat zu ihm gesagt: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Ein Satz wie in Stein gemeißelt. Aber so groß er auch klingt, so wahr ist er doch im Kleinen. Der Satz spricht einfach von der Versöhnung mit dem Gegebenen. Und: von der großen Freiheit, das sein zu wollen, was man ist. Der Aufbruch in die persönliche Freiheit beginnt so: Ich will das sein, was ich bin. Ich will der sein, der ich bin. Es ist Gnade, wenn ein Mensch nicht größer denkt oder macht, als er ist. Es ist Gnade, wenn man seine Fehlerhaftigkeit annehmen kann. Es ist Gnade, wenn jemand sich und andern eingesteht, dass die Kräfte nicht ausreichen. Alles ist Gnade. Leben ist Gnade. Oft sind Visionen und Träume vom Leben groß, übergroß. Und der Alltag kommt einem dann klein und so banal vor. Nur die Erkenntnis der Gnade versöhnt mich mit dem, was ist. Manchmal braucht das viel Zeit. Es gibt Menschen, die brauchen Jahre, Jahrzehnte. Manchem gelingt es nie. Sie verzweifeln dann am Abgrund, der sich auftut zwischen ihren Wünschen und dem Alltag. Es gibt nur einen Weg, diesen Abgrund zu überbrücken: Ich will annehmen, was mir von Gott gegeben ist. Paulus ist dieser Weg gezeigt worden und ist ihn gegangen. Sein Alltag ist von Gott gegeben, er nimmt ihn an und bittet um Kraft, wenigstens seine Schwachheit auszuhalten. Darin ist, wird er stark. Es ist stark, seine Schwachheit auszuhalten, vor Gott, vor Menschen. Es ist ein starker Glaube, der erkennt: Genau durch meine Schwachheit kommt Gott zum Zuge. Erst in meiner Schwachheit erkenne ich ja, dass ich Gott brauche. Und den andern neben mir. So bringt Schwachheit Gemeinschaft. Wo wir unsere Schwachheit eingestehen wächst echtes, tiefes Miteinander. Auf diese Art wirkt Gottes Kraft durch die Schwachheit. So zieht Paulus mutig die Straße seines Glaubens und bekennt immer wieder: „Wo ich schwach bin, bin ich stark.“ Und als er den Weg lange genug gegangen ist, weiß er genau, „dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“ Amen.