Wer weiß?

Wer weiß?

Jona 3, 1-10                                                                      2. Sonntag nach Trinitatis – Großgrabe/Oßling, am 26.06.2022

„Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage! Da machte sich Jona auf und ging nach Ninive, wie der Herr gesagt hatte. Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tagesreisen groß. Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen, und eine Tagesreise weit gekommen war, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und ließen ein Fasten ausrufen und zogen alle, Groß und Klein, den Sack der Buße an. Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche und ließ ausrufen und sagen in Ninive als Befehl des Königs und seiner Gewaltigen: Es sollen weder Mensch noch Vieh, weder Rinder noch Schafe Nahrung zu sich nehmen, man soll sie nicht weiden noch Wasser trinken lassen; und sie sollen sich in Sack hüllen, Menschen und Vieh, und zu Gott rufen mit Macht. Und ein jeder bekehre sich von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände! Wer weiß? Vielleicht lässt Gott es sich gereuen und wendet sich ab von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben. Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie sich bekehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und er tat´s nicht.“

Wer weiß, liebe Gemeinde, wer weiß? So fragt der König von Ninive. Wer weiß, vielleicht?  Da steckt ein Hoffnungs-funke drin. Es ist keine unnütze Frage, eher ein Infragestellen der eignen Weltsicht. Wer weiß, vielleicht ist Gott doch größer als ich denke? „Wer weiß“, fragt sich der König, „vielleicht lässt Gott es sich gereuen und wendet sich ab von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben?“ Dass Gott bereut  – ist mehr als ein seltsam-schöner Gedanke. Es klingt trostvoll, dass Gott sich doch evtl. von seinem Zorn abwendet. Von  diesem Hoffnungsfunken des Königs angerührt, schauen wir jetzt Jona, seine Geschichte und – damit auch uns an. Wie hatte es begonnen? Damit, dass Gott sprach. So beginnt Geschichte. Mit Gottes Wort: Jona, auf, geh, predige! Der Herr legt sein reines Wort in das dunkle, unreine Menschenherz. Predige! Gottes Wort im Menschen. Gott macht sich so durch Menschen den Menschen bekannt. Immer neu versucht es der Herr, und es klingt durch die Geschichte: „Gehet hin in alle Welt, machet zu Jüngern alle Völker.“ Es ist rätselhaft und ein Geheimnis, wie Gott zu seinen Menschen redet. Jetzt ist Jona dran. Auf Jona, predige! Das will er nicht. Er will Gott los werden, gott-los leben. Er flieht, statt hoch nach Ninive hinunter Richtung Ägypten. Ab in ein Schiff nach Tarsis. Was wird jetzt? Wer weiß? Vielleicht? Gott seufzt und so entsteht ein Sturm. Jona kommt darin nicht um, sondern an. Das ist die wundersame Geschichte mit dem großen Fisch und der flüchtige Prophet drei Tage in seinem Wanst. Wieder redet Gott. Zu einem Fisch. Und das Meerungeheuer muss Jona an Land speien. Durch Gottes Reden wird Jona nicht verdaut, seine Geschichte geht weiter. Fein. Da wir eh in eine alte Geschichte blicken, schauen wir kurz auf die Kirche und ihre Fluchtwege. Hat sich die Kirche wie Jona verhalten, sind große Stürme über das Schiff, was sich Gemeinde nennt, gegangen. War sie nicht zuzeiten fast von der Bildfläche verschwunden, sozusagen im Fischbauch von Gottes Gericht? Es scheint, als würde Jona die Kirche abbilden. Wer weiß? Jona  jedenfalls, als er betet und betet, weil die Magensäfte des Fisches brennen, da lesen wir: „Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spie Jona an Land.“ Jetzt braucht der Davongelaufne erstmal neue Sachen und muss sich orientieren was, wie und wo. Es ist rätselhaft, dass Menschen davonlaufen, also vor Gott davonlaufen. Warum denn? Jona ist da übrigens nicht allein: „Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?“ (Ps 139) So fragen Gläubige in der Bibel. Und du, ich? Sind wir auf der Flucht oder in der Nachfolge? Wer weiß? Dem Wegrenner Jona geschieht wunderbar-seltsam erneut Gottes Anrede: „Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona.“ Gott lässt nicht ab von den Jonas in seiner Kirche. Aber, warum tut Jona jetzt, was er tut? Angst, Respekt, Einsicht oder Dankbarkeit? „Mache dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage! Da machte sich Jona auf und ging hin nach Ninive, wie der Herr gesagt hatte.“ Welcher Art ist sein Gehorsam? Welcher Art ist unser Gehorsam ggü. Gott? Na gut, während Jona die Zinnen und Mauern am Horizont sieht, lesen wir: „Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tagesreisen groß.“ Da liegt sie in der Abendsonne vor den Augen des Propheten. Die Metropole der Weltmacht Assyrien. Ein grausames Volk, wie wir durch viele Ausgrabungen wissen. Israel wurde  von der Zahl ihrer Krieger und Macht ihrer Waffen überrollt. Die zehn Stämme im Nordreich wurden deportiert. Das Südreich litt unter der Besatzung. Jetzt betritt Jona die Stadt des Erzfeindes, des Peinigers und Vernichter seines Volkes. Und auch Gottes Volkes. Geht er beschwingten Schrittes und hat Gedanken an die Rache Gottes, als wir lesen: „Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen und eine Tagesreise weit gekommen war, predigte er.“ So, na bitte. Endlich ist die Frage – „Warum lässt Gott das zu?“ – beantwortet. Jetzt handelt Gott, also in vierzig Tagen: Feuer, Schwefel, Vernichtung über alle Feinde Israels, die Feinde Gottes! Gottes Gericht jetzt! Wenn sie mich – so Jona – für meine Predigt töten, schlimmer als im Fischmagen kann´s nicht werden. Und die Assyrer, in Macht, Luxus und Siegerbewusstsein, hören die kürzeste uns überlieferte Predigt. Ein Satz: „Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen.“Amen!! Die Wirkung ist gigantisch. Wie ein Lauffeuer eilt dieser Satz durch die Straßen, Gassen, in alle Winkel. In jedem Haus hört man das Echo: Der Prophet hat unser Ende angekündigt. Noch vierzig Tage. Kein Zweifel, es wird geschehen, wir bekommen, was wir verdienen. Das lesen wir hier: „Da glaubten die Leute von Ninive an Gott.“ Gemeint ist: sie glauben, dass Gott es tun kann und auch tun wird. Der Predigt wegen. Das Unwahrscheinliche war geschehen. Und so geschieht es bis heute. Wo von Gott Gesendete das Wort der Predigt ausrichten, vollzieht sich das hier beschriebene Unerwartete, das Wunder: „Da glaubten die Leute.“ Eine Massenbewegung. Sie fasten, tun Buße. Jetzt sogar der Mächtigste, der König: „Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche.“ Er lässt eine Fastenpflicht für Mensch und Tier ausrufen. Seine Priester werden ihm wohl geraten haben: Also, mit der Gottheit der Hebräer ist nicht zu spaßen. In unseren Überlieferungen heißt es, dass ER es war, der über Sodom und Gomorrha Feuer und Schwefel regnen ließ. Auch hat er das Rote Meer geteilt, sein Volk ließ er hindurch, wohlgemerkt trockenen Fußes, den Pharao und sein Heer aber ließ er darin ersaufen. Jetzt schickt er gar seinen Propheten. Wir sollten diese fremde Gottheit gnädig stimmen. Wer weiß? Wer weiß, was sonst geschieht. Außerdem ist Handel und Wandel bereits zum Erliegen gekommen. Daher lautet der königliche Befehl: „Alle sollen sich in den Sack hüllen, Menschen und Vieh. Und ein jeder bekehre sich von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände!“ Das öffentliche Leben stand still. Das innere Leben kam ans Licht. Lug und Trug wurden öffentlich benannt und korrigiert. Wir stellen uns vor, unsere Kirchenleitung, ja gar unsere Regierung würde öffentlich ausrufen: Jeder bekehre sich von seinem bösen Weg und vom Frevel seiner Hände. Wir stellen uns vor, es würde eine innere Erneuerung unseres Volkes geschehen: das Böse kommt ans Licht, es vollzieht sich Sühne und Recht, ein Ausgleich von Arm und Reich, Vergebung und Versöhnung in den Familien, das Erbe wird gerecht geteilt, einer ist für den andern da, Gemeinschaft ist wichtiger als Geld und Wohlstand, nicht länger auf Kosten anderer und der Enkel leben, sein Wort halten, faire Preise, keine öffentliche Lügen in den Medien … die Liste ist länger. „Ein jeder bekehre sich!“ So ließ der König ausrufen. „Wer weiß? Vielleicht lässt Gott es sich gereuen und wendet sich ab von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.“ Innere und äußere Neuanfänge vollzogen sich, denn ich lese: „Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie sich bekehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und er tat´s nicht.“ Gott bereut. Das lese ich und lasse es auch so stehen. Jona aber will das nicht so stehen lassen. Ich wusste es – so betet er – du bist barmherzig. Statt unsere Feinde zu vernichten, bist du ihnen gnädig. Der Gott Israel ist auch der Gott über die Assyrer. Unser Gott ist auch der Gott unserer Bedrücker. Was bist du nur für einer? Das ist für Jona zu viel des Guten, zu groß für sein Welt- und Gottesbild. Er ist mit seinem Gott fertig. Aber Gott nicht mit ihm. Wer weiß, wie die Geschichte ausgeht, mit Jona. Und dir? Und mir? Wir blättern zum Ende der Geschichte. Gott stellt die menschliche Sicht von Gott und der Welt infrage: „Sollte ich kein Erbarmen haben mit Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts und links ist, dazu auch viele Tiere?“ Fragezeichen. Hier steht ein Fragezeichen! Ein biblisches Buch endet mit einer Frage. Jona, die Hebräer, die Kirche und auch du, auch ich, sollen durch Worte und Taten Antwort geben, Antwort leben. Ob das gelingt? Wer weiß? Amen.

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