Johannes 5, 39-47 1. Sonntag nach Trinitatis – Oßling/Großgrabe, am 18.06.2017
Liebe Gemeinde!
Eine Frau kauft in einem großen Schnellrestaurant eine Suppe. Sie trägt den dampfenden Teller an einen der vielen Stehtische und hängt unvorsichtigerweise ihre Handtasche darunter. Dann geht sie noch einmal zur Theke, um sich einen Löffel und ein Getränk zu holen. Als sie zurückkehrt, sieht sie am Tisch einen dunkelhaarigen Mann, der ihre Suppe löffelt. „Typisch Ausländer, was fällt dem ein?!“ denkt die Frau empört. Sie drängt sich neben ihn, sieht ihn wütend an und taucht ihren Löffel ebenfalls in die Suppe. Sie sprechen kein Wort. Aber nach dem Essen holt der Mann für sie beide einen Kaffee und verabschiedet sich dann höflich. Erstaunt bedankt sich die Frau mit einem Lächeln. Als sie ebenfalls gehen will, hängt ihre Handtasche nicht mehr am Haken unterm Tisch. Dieser hinterhältige Schuft!! Das hätte man sich doch gleich denken können! Mit rotem Gesicht schaut sie sich um. Er ist verschwunden… Aber am Nachbartisch – sieht sie ihre Handtasche und einen Teller Suppe, inzwischen kalt geworden. Lassen wir doch mal die Bibel so etwas wie ein Schnellrestaurant sein, passt doch: wir wollen hier auch nicht stundenlang sitzen, sondern erwarten, dass wir eine Mahlzeit für unsre Seele bekommen und gestärkt, heiter, nachdenklich und ein bisschen mutiger aus dem Gottesdienst gehen. Mit dem Predigttext stößt uns heute so etwas zu wie der Frau im Schnellrestaurant. Man will seine Ruhe, aber es gibt Ärger. Ärgerlich, diese Jesusrede. Schlimmer: wir bezeichnen das als Unterstellung. Angenommen, wir wären nur Zuschauer, würden nur betrachten, was Jesus damals den Leuten an den Kopf geworfen hat, wäre alles halb so schlimm. Wir hätten genügend Abstand, um die Vorwürfe abgeklärt und locker anzuschauen. Aber uns verbindet der Glaube und die etwas diffuse Erwartung: Wenn wir die Bibel aufschlagen, nutzt Gott die Gelegenheit, um uns anzusprechen. Deshalb können wir den Text nicht einfach wegschieben und sagen: War ja vor 2.000 Jahren. Irgendwie sind wir mit drin. Wir hören die Rede Jesu, wie er die Welt, den Menschen vor uns, nach uns, den Heutigen sagt: „Ihr wollt nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hätte…ich kenne euch, dass ihr nicht die Liebe Gottes in euch habt…ihr nehmt mich nicht an…Gottes Ehre sucht ihr nicht.“ Also ich höre das als Unterstellung. Wie kann Jesus das so pauschal sagen? Muss ich mir das annehmen? Jeder von uns kann mit Kritik gut umgehen, a) wenn sie konkret ist und b) in Güte gesagt ist. Etwa: Dass du gestern nicht zum vereinbarten Termin erschienen bist und nicht mal angerufen hast, kann ich nicht akzeptieren. Jeder muss aber, um sich selbst zu schützen, Kritik absolut zurückweisen, die pauschal ist und die Person als Ganzes angreift. Etwa: Nie bist du pünktlich. Immer hältst du deine Zusagen nicht ein. Kurz: Sachkritik ist helfend, muss sein. Personenkritik muss abgewiesen werden, zerstört. Jetzt fragen wir bei Jesus nach: Warum diese persönliche Aburteilung: Ihr wollt nicht, habt Gottes Liebe nicht, ihr nehmt mich nicht an!? Das ärgert mich. Ich löffle die Suppe, bin aber ein bissel wütend. Habe dabei die Frau aus dem Schnellrestaurant vor Augen. Sie war auch wütend, löffelte und war einfach in einem komisch-phantastischen Missverständnis. Das wäre schön, wenn wir am Ende auch lachen könnten, zumindest erleichtert wären und sich alles aufgeklärt hätte. Aber dazu ist mir der Jesusrüffel zu hart und ungehobelt. Und noch eine Schwierigkeit kommt dazu: Es ist ja nicht ganz falsch, was er sagt. Ich weise das nicht vollkommen zurück. Ehrlicherweise muss jeder, der um Glauben ringt, eingestehen: „natürlich“ habe ich nicht Gottes Liebe vollkommen in mir, aber ich habe sie, geschenkt in meiner Taufe, als Samenkorn. Selbst wenn man nicht so viel sieht, etwas wächst, etwas wurzelt. Warum also, Jesus, diese pauschale Anklage? Mit dieser Frage lande ich bei Vers 45. Genau das müssen ihn seine wohlgesonnenen Zuhörer, und auch die kritischen nämlich gefragt haben. Er antwortet hier: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich euch vor dem Vater verklagen werde…“ Nimmt er damit jetzt etwas zurück, ist das nun ein andrer Ton? Ich höre in Jesu Antwort: Ihr versteht meine Worte als Anklage. Das ist ein Missverständnis. Er betont: Ich klage nicht an. Okay, das glaube ich ihm. Das habe ich bisher von Jesus immer geglaubt, dass er nicht die schnelle Eingreiftruppe eines zornigen Gottes ist und wo etwas schief zu Gottes Willen liegt, zack-zack, alles auseinander nimmt. Ich glaube, dass er der gute Hirte ist, der sein Leben für die Schafe gibt. Deshalb auch die Verwirrung über seine scharfen Worte. Um auf diesem Weg weiterzugehen: Ich will Jesus keine verurteilenden Absichten unterstellen, sondern helfende. Er sieht eine Schieflage. Darauf kann ich mich einlassen. Da ist vieles aus dem Gleichgewicht, damals und heute, o ja. Zwischen uns Menschen, da müsste viel ausgeglichen werden. Mit dem ganzen Gewicht seiner Liebe und Kraft müsste man sich in die Waagschale werfen. Denken wir an das ökologische Ungleichgewicht, Mensch und Natur, es macht uns Angst, dieses Ohnmachtsgefühl: die Meere taumeln auf den Kollaps zu, kippen um, die Luft, der Boden – extreme Schieflage. Und zwischen Gott und Mensch? Da ist alles in Ordnung! Ich sag das nicht ironisch. Ich meine es ernst und berufe mich auf das Wort Jesu: Es ist vollbracht! Berufe mich auf sein Leiden und Sterben für uns. Unser Problem ist aber: Reden wir von der Schieflage in Familie, Natur und Gesellschaft, dann nicken wir, sehen ja, dass was nicht stimmt. Aber wir tun uns sehr schwer zu glauben, dass der Ausgleich zwischen Gott und Mensch, zwischen Gott und uns vollbracht ist. Ihr merkt, jetzt gerate ich selbst in Gefahr, pauschal zu reden, indem ich sage: Ihr oder wir glauben nicht. Ich tue das, um herauszufordern, überziehe sozusagen – um auf eine konkrete Gefährdung aufmerksam zu machen. Die konkrete Gefährdung der Zuhörer damals hieß: Wir wollen, so ihr fester Entschluss, die Schieflage zwischen Gott und uns ausgleichen, werden alles dafür tun, 10, 100 oder 600 Gebote aufstellen, dass Gott zufrieden gestellt wird. Das bringt Jesus auf die Palme und so wählt er diesen rüden Ton: Was ihr tun wollt ist unmöglich. Denn Gottes Liebe kann man sich nur schenken lassen, nicht erarbeiten. Aber ihr wollt euch nichts schenken lassen, deshalb habt ihr nichts. Das ist eure hoffnungslose Lage. Und da gebe ich ihm Recht. Liebe fließt nur, und zwar ausschließlich und sonst gar nicht, im gegenseitigen Vertrauen: sich öffnen, hingeben, annehmen, empfangen, zulassen. Hier liegt auch unsere Gefährdung, eine, die wir selten oder gar nicht bemerken, weil sie so tief im Herzen steckt. (Deshalb haben unsere Bischöfe bestimmt, dass zum heutigen Predigttext ausdrücklich von Gottes Liebe gelesen, gesprochen wird, so in der gehörten Epistel: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm…vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.“) Gott hat uns seine Liebe geschenkt, indem er die Verlorenheit des Menschen überwunden hat, ihm das verlorene Paradies wieder erkauft hat. Durch Jesu Hingabe am Kreuz sind alle Hindernisgründe für den Himmel beseitigt, unsere Sünden vollkommen beglichen. Es herrscht keine Schieflage zwischen Gott und dir. In Stunden, wo du allein auf Jesus blickst, dich vollkommen auf die geschenkte Gnade ohne wenn und aber verlässt, in solchen glücklichen Stunden der Liebe, zeigt dir die Liebe Gottes klar, dass du nicht die Suppe auslöffeln musst, die du dir eingebrockt hast. In solchen Sternstunden, wo wir vorbehaltlos Gottes Vergebung annehmen und gelten lassen, beflügelt uns die Erfahrung, dass Gott kein Richter „Gnadenlos“ oder Störfaktor ist, sondern Liebe, nur Liebe. Diese Glaubenserfahrung gleicht dem beschämten Erstaunen der Frau im Schnellrestaurant, die merkt: niemand hat meine Suppe gegessen. Keiner meine Handtasche gestohlen und einen Kaffee habe ich gratis bekommen. Amen.