Freiheitskämpfer

Freiheitskämpfer

Freiheitskämpfer

Vor einer Woche, da ist er noch nach Jerusalem eingezogen. Dieser Jesus. Dieser Zimmermannssohn. Dieser Wanderprediger und Wunderheiler. Dieser selbst ernannte Gottessohn. Und wie sie ihn gefeiert haben. Und wie er sich hat feiern lassen. Mit Palmenzweigen und halbnackt tanzenden Menschen. Dann noch dieser geschickte PR-Trick mit dem Esel. Um deutlich zu machen: Hier kommt ein Mann aus dem Volk. Ein Mann für das Volk. Die Leute hatten ihm zugejubelt: „Hosanna! Herr, hilf uns! Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn!“ Was hatte sich dieser Jesus nur eingebildet? Unter diesem Jubelruf sollte allein der lang erwartete Retter nach Jerusalem einziehen. Und es bestand kein Zweifel: Genau den sah das Volk in ihm: Ihren Freiheitskämpfer.
Jetzt nachdem er das Volk mit seinen Wundern und schönen Worten auf seine Seite gebracht hatte, hätte er womöglich einen Volksaufstand gegen die Römer angezettelt. Oder gegen die religiöse Führung. Oder  gegen beides. Das musste einfach verhindert werden.
Und genau das hatten sie getan. Sie die Pharisäer. Gemeinsam mit den Priestern und den Römern. Sie hatten ihn gewarnt. Sie hatten ihm gesagt, er solle seine Jünger zur Vernunft bringen und diesen Zirkus beenden. Aber er hatte nur gemeint:

40 […] »Ich sage euch, wenn sie schweigen, dann werden die Steine schreien!«
(Lk.19,40; GNB)

Nun, letztendlich hatten sie nicht nur seine Jünger,  seine Fans, sondern vor allem ihn selbst ein für allemal zum Schweigen gebracht. Auf diesen Freiheitskämpfer würde keiner mehr bauen. So dachten sie.

Und die Steine? In diesem endgültigen Schweigen ergreifen sie tatsächlich das Wort. Ich hab euch drei Steine mitgebracht. Ihr dürft euch jetzt einfach mal vorstellen, dass diese Steine tatsächlich Jesus begegnet sind. Und stellt euch vor, sie könnten tatsächlich zu uns reden. Was hätten sie zu sagen?

Der 1. Stein:
Ich bin nicht einfach irgendein Stein. Unter den Steinen gehöre ich zu den ganz harten. Deswegen liege ich normalerweise auch nicht irgendwo in einer sicheren Stadt rum, sondern außerhalb bei den Höhlen. Da gibt’s außer Steinen, Felsen und Gräbern nicht viel. Nur ein einzelner Mann hatte da gelebt. Und normalerweise hab ich ja vor niemandem Angst. Aber dieser Kerl war schon wirklich furchteinflößend. Hat rumgeschrieen wie bekloppt, seine Kleider zerfetzt, seine Haare gerauft. Die Leute aus dem Dorf hatten versucht ihn zu bändigen. Keine Chance. Der Typ konnte sogar Ketten zerreißen. Deshalb hatten sie ihn aus Angst vor ihm einfach sich selbst überlassen. Hier in der Wildnis.
Auf jeden Fall dieser Typ greift irgendwann nach mir und ich denke schon, jetzt zerschmettert er mich. Aber statt dessen fängt er an mich gegen seine Stirn zu schlagen.  Immer und immer wieder. Irgendwann merke ich, dass etwas feuchtes an mir herunterläuft und ich sehe, dass dem Typen das Blut über die Stirn läuft.
Da habe ich erkannt, dass dieser Typ nicht nur von allen anderen abgelehnt und verachtet wird. Er selbst konnte sich am allerwenigsten leiden. Ja, er hasste sich abgrundtief. Er wollte sich selber bestrafen und verletzen um durch den Schmerz vielleicht wieder irgendetwas fühlen zu können.  Aber es half nichts. Er war gefangen in dem Hass und der Selbstablehnung. Und kaum war die Erschöpfung nach dieser Selbstgeißelung überwunden, fing er wieder von vorne an. So ging das Tag für Tag.
Bis eines Tages dieser Jesus in die Gegend kam. Als der Mann, der mich noch immer in den Händen hielt, ihn sah, lief er auf ihn zu und schrie:

[…] »Jesus, du Sohn des höchsten Gottes, was habe ich mit dir zu schaffen? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht!«
(Mk.5,7; GNB)

Ich kann nicht genau erklären, was dann geschah. Auf jeden Fall hatte Jesus ein Machtwort gesprochen. Ich spürte, wie sich der Griff des Mannes um mich löste und er mich zu Boden fallen ließ. Aus seinem Gesicht wich aller verbissener Hass. Der ganze Wahnsinn war verschwunden. Und dann lag nur noch tiefer Friede in seinen Augen.
Vielleicht kennst du diesen Selbsthass aus deinem eigenen Leben nur zu gut. Möglicherweise möchtest du dir auch am Liebsten selbst Schmerzen zufügen um überhaupt noch was zu spüren. Oder du findest dich oft genug alleine in deinem Zimmer mit einer scharfen Rasierklinge in deinen Händen wieder und dieser beängstigende Gedanke alles zu beenden wirkt plötzlich so unheimlich verlockend.
Dann lass mich dir sagen: Ich wurde Zeuge davon, dass Jesus von dieser eigenen Anklage und dem Selbsthass befreien kann. Er sieht dich nicht mit deinen Augen, sondern befreit dich dazu dich mit seinen zu sehen. Er ist der Freiheitskämpfer.

Der 2. Stein:
Dafür, dass ich ein griffiger Stein bin, habe ich ordentlich Gewicht. Ich lag in Jerusalem in der Nähe des Tempels. In den letzten Tagen war da häufig dieser Jesus aufgetaucht und hatte zu den Leuten geredet. So auch an diesem Morgen.
Ich war so auf Jesus konzentriert, dass ich gar nicht merkte, dass von hinten eine Gruppe Leute auf mich zukam. Erst als mich ein Mann in einem weiten Gewand aufhob, sah ich, dass da ein paar Männer mit einer Frau im Schlepptau direkt auf dem Weg zu Jesus waren. Ich hatte kaum Zeit mich zu fragen, was das für eine Szene wird und was ich damit zu tun hätte, da sagte auch schon der Mann, der mich in der Hand hielt:

4 […] »Lehrer, diese Frau wurde ertappt, als sie gerade Ehebruch beging.
5 Im Gesetz schreibt Mose uns vor, dass eine solche Frau gesteinigt werden muss. Was sagst du dazu?«
(Joh.8,4.5; GNB)

Ich spürte, wie der Mann seinen Griff um mich verstärkte. Ich konnte förmlich spüren, wie er sich darauf freute, diese Frau für ihren Seitensprung zu bestrafen. Und ich sah die Frau, stocksteif vor Entsetzen, die Augen aufgerissen und auf Jesus geheftet in der verzweifelten Hoffnung er könne ihr unvermeidliches Schicksal wenden und sie freisprechen. Und was tat er?
Würde er sie in Schutz nehmen und die anderen damit zu beruhigen versuchen, dass so etwas ja in den besten Familien vorkommt? Oder würde er den Männern Recht geben und mich damit dazu verdammen zu einem Tötungsinstrument zu werden? Er tat erst mal nichts weiter als in den Sand zu schreiben. Die Spannung war unerträglich. Dann richtete er sich auf und sagte:

7 […] »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.«
(Joh.8,7; LUT)

Danach schrieb er weiter in den Sand. Der Mann, der mich in der Hand hielt, schaute sich um, wer denn nun anfangen würde. Scheinbar wollte oder konnte er nicht der Erste sein. Da es den anderen aber offenbar genauso ging, warf niemand den ersten Stein. Und wo kein erster Stein fliegt, kann auch kein zweiter fliegen. Endlich löste sich die Anspannung, als sich die ersten Männer von Jesus und der Frau abwandten und weggingen. Auch der Mann, der mich bis eben wurfbereit umklammer hielt ließ seinen Arm sinken und mich zu Boden fallen. Ich kullerte noch fast bis zu den Füßen von Jesus. Dann war ich mit ihm und der Frau alleine.
Zum ersten Mal, seit sie vor Jesus stand, blickte sie sich zweifelnd um.

10 Da richtete Jesus sich auf und sprach zu ihr: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?
11 Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.
(Joh.8,10-11; LUT)

Kann sein, dass du dich gerade auch in dieser Situation wieder findest. Nicht nur, dass du einen Fehler in deinem Leben gemacht hast. Auch noch einen folgenschweren Fehler. Aber das wirklich Schlimme und das wirklich Bedrückende ist, dass dich alle anderen dafür anklagen. Vielleicht drohen sie dir nicht mit Steinigung, aber ihre verurteilenden Blicke sind mindestens genauso vernichtend.
Dann darf ich dir sagen: Ich habe erlebt, wie bei Jesus die Anklagen aller anderen Menschen über das Leben einer Ehebrecherin fallen gelassen werden mussten. Egal, welches Urteil andere Menschen über dich fällen, Jesus lässt sich davon nicht beeinflussen und er will dich davon freisprechen. Er ist der Freiheitskämpfer.

Der 3.Stein:
(Den konnte ich leider nicht mitbringen, denn er war einfach zu groß).
Ich war schon immer der größte. Unüberwindbar. Wo ich stand, gab es kein Vorbeikommen. Man hatte mich gerade erst fertig gestellt als Teil eines Felsengrabes. Ich würde, nachdem man die Toten in das Grab gelegt hatte, für immer den Raum des Todes von dem Raum des Lebens trennen.
An einem Freitag Abend kamen zwei Männer, die eine in Leinentüchern eingewickelte Leiche trugen. Er musste wohl einer der Verbrecher gewesen sein, den sie an dem Tag in der Nähe gekreuzigt hatten. Sie legten den Toten in das Grab und wälzten mich davor. Ich verstand: Ich würde niemanden in das Grab hinein- und schon gar nicht mehr hinauslassen.
Ich wurde etwas stutzig, als am nächsten Tag einige von den jüdischen Priestern und mehrere römische Soldaten vor mir erschienen. Sie versiegelten zusätzlich den Eingang zu dem Grab und die Soldaten nahmen um mich herum ihre Wachposten ein. Ich wollte ihnen noch sagen: „Hey Jungs, macht euch locker. Ich komm schon klar. War doch bisher immer so: Ihr befördert die Leute vom Diesseits ins Jenseits. Und danach übernehme ich und sorg dafür, dass es so bleibt.“ Aber ich wusste auch: Order ist Order und sicher ist sicher. Was sollte schon schiefgehen?
Wie man sich irren kann. Am nächsten Morgen – es dämmerte noch nicht mal, explodierte vor mir ein Licht. Hell wie ein Blitz. Nur dass es nicht aufhörte. Augenblicklich fielen die Soldaten in Ohnmacht, einer der Soldaten fiel direkt gegen mich. Es schepperte und er lag am Boden Und ich spürte, wie man mich zur Seite rollte, als wäre ich aus Styropor. Ob ich wollte oder nicht, ich musste den Weg zwischen Tod und Leben freigeben. Dann Licht aus. Stille. Und mir wurde klar, dass mir das niemand glauben würde. Außer mir würde niemand das bezeugen können, was ich dann sah: Der Mann, den sie vorgestern in das Grab gelegt hatten, trat aus dem Loch, das ich hätte versperren sollen. Im Dämmerlicht konnte ich seinem weißen Gewand hinterher sehen. Er drehte sich nicht mal erstaunt zu mir um und auf einmal wurde mir klar, dass die ganze Aktion von Anfang an geplant gewesen sein musste.
Wenig später kamen ein paar Frauen zum Grab, wohl in der Hoffnung sich von dem Toten verabschieden zu können. Nach all dem, was ich an dem Morgen gesehen hatte, wunderte es mich schon fast nicht mehr, als zwei weitere Gestalten in weiß erschienen. Und mit dem, was sie sagten, bestätigten sie nur das, was ich erlebt hatte:

5 […] „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?
6 Er ist nicht hier, er ist auferstanden. […]“
(Lk.24,5.6)

Und die traurige Gewissheit, dass am Ende des Lebens nur der Tod auf die Menschen wartet, ist seit diesem Tag mit der Hoffnung zerschlagen worden, dass Gott selbst ewiges Leben schenken kann. Ich bin nur ein Stein. Und vielleicht kann ich dieses Geheimnis nicht ansatzweise erfassen und schon gar nicht erklären. Aber ich habe gesehen, dass Jesus den Fluch des Todes, der mit der Abkehr des Menschen von Gott in das Leben kam, überwunden hat. Es war von Anfang an geplant. Sämtliche Steine, die sich einem Mensch im Leben in den Weg stellen können, müssen am Ende bezeugen, dass Jesus der Herr ist. Die Pharisäer und alle, die Jesus damals aus dem Weg räumen wollten, hatten den Abschnitt überlesen, vergessen oder verdrängt, der in einem Atemzug mit dem „Hosianna“-Ruf der Leute an Palmsonntag einherging:

22 Der Stein, den die Bauleute als wertlos weggeworfen haben, ist zum Eckstein geworden.
(Ps.118,22; GNB)

Er ist der Freiheitskämpfer. Amen.

2 Kommentare

  1. Anne

    Hallo, vielen Dank für die superschöne Predigt, bekommt Ihr den Hänger ab ca.12:41 bis zum Schluß noch irgendwie repariert? Schön, daß man noch nachlesen kann, Danke, seid gesegnet, liebe Grüße

    • Daniel Kümmling

      Hallo Anne, danke für die Rückmeldung. Den Fehler habe ich wohl übersehen gehabt. Dürfte jetzt wieder passen. Viele Grüße, Daniel

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