Hallo,
Elmar Schenkel, ein Anglist und Autor, hat mal gesagt: „Manche Fragen, die das Teleskop stellt, kann nur das Mikroskop beantworten. Das Umgekehrte gilt auch.“ Also, es ist möglich, dass wir Dinge in großen Zusammenhängen nicht verstehen, weil wir gerade blind sind für die Details. Und umgekehrt.
Im letzten Lichtblick habe ich über die Losung für dieses Jahr gesprochen:
14 Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
(1.Kor.16,14; EU)
Und dort habe ich versucht, so eine Teleskop-Ansicht auf das Thema zu geben. Runter gebrochen auf vier Punkte. Aber ich hab den Eindruck, dass es gut ist, das noch mal im Detail zu betrachten. Also quasi durch das Mikroskop zu schauen. Und genau das wollen wir in den kommenden Lichtblicken tun. Wir wollen der Sache auf den Grund gehen: Wie stellt sich Gott das genau vor, dass unter uns alles in Liebe geschehen soll? Dabei werden wir uns an ein paar wundervollen Versen aus dem dreizehnten Kapitel des ersten Korintherbriefes orientieren. Dort beschreibt Paulus die Liebe, wie Gott sie versteht:
4 Die Liebe ist geduldig und gütig. Die Liebe eifert nicht für den eigenen Standpunkt, sie prahlt nicht und spielt sich nicht auf. 5 Die Liebe nimmt sich keine Freiheiten heraus, sie sucht nicht den eigenen Vorteil. Sie lässt sich nicht zum Zorn reizen und trägt das Böse nicht nach. 6 Sie ist nicht schadenfroh, wenn anderen Unrecht geschieht, sondern freut sich mit, wenn jemand das Rechte tut. 7 Die Liebe gibt nie jemand auf, in jeder Lage vertraut und hofft sie für andere; alles erträgt sie mit großer Geduld.
(1.Kor.13,4-7; GNB)
Ich hab die Passage schon das letzte Mal vorgelesen. Und auch in den kommenden Wochen werden sich Aspekte sicherlich wiederholen. Aber zum Einen lernt man ja bekanntlich durch Wiederholungen. Zum Anderen werden es doch immer wieder neue Schwerpunkte sein, die wir betrachten. Und darüber hinaus werden es ganz unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen Blickwinkeln sein, die diese Verse mit uns betrachten. Und heute wollen wir ersten Satz unters Mikroskop legen:
4 Die Liebe ist geduldig und gütig.
(1.Kor.13,4a; GNB)
Je nach Übersetzung heißt es auch: „Die Liebe ist langmütig und freundlich“. Oder, was mir auch gut gefällt: Die Bibelübersetzung „Das Buch“ schreibt: „Die Liebe hat einen langen Atem“. Also, der Liebe geht nicht so schnell die Puste aus. Finde ich bildlich sehr ansprechend. Und ich finde es spannend, dass diese beiden Begriffe, „Geduld“ und „Güte“, das erste sind, was Paulus zum Thema Liebe einfällt. Ich weiß nicht, was deine erste Assoziation gewesen wäre. Aber ich glaube, das ist kein Zufall. Auch nicht, dass die beiden Worte zusammen in einem Satz stehen.
Ich habe drei Aspekte mitgebracht, die mir aufgefallen sind, als ich diese beiden Begriffe im Zusammenhang mit der Liebe mal unter dem Mikroskop betrachtet habe:
Erster Punkt: Geduld und Güte leben aus der Verheißung, nicht aus der Erfahrung.
Geduld richtet sich immer auf etwas Kommendes. Etwas, was noch nicht da ist. Kinder, die auf ihre Weihnachtsgeschenke warten, müssen geduldig sein bis zur Bescherung. Das neue Spielzeug ist noch nicht da. Aber es stand ganz oben auf dem Wunschzettel. Und Mama und Papa haben schon so Andeutungen gemacht. Da ist ist eine verheißungsvolle Perspektive.
Ich denke dabei an David. Er hat schon in sehr jungen Jahren die Verheißung bekommen, dass er einmal König über das Volk Israel wird. Doch im Moment ist er nur Schafhirte. Der Jüngste unter acht Brüdern. Die Erfahrung deckt sich nicht mit der Verheißung. Und das wird auch noch einige Jahre so bleiben. Aktuell sitzt Saul auf dem Thron. Und als sich abzeichnet, dass David mehr ist als ein Hirtenjunge und auch mehr als ein erfolgreicher Heerführer, wird er von Saul verfolgt. Er muss fliehen. Seine aktuelle Erfahrung zeigt, dass er ewig weit weg ist von dieser Verheißung. Aber die Verheißung ist da, aus der David seine Geduld und Güte zieht.
An einer Stelle zeigt sich das sehr eindrücklich. Er ist vor Saul in eine Höhle geflohen. Saul ist ihm direkt auf den Fersen. Und Saul muss mal. Und er geht ausgerechnet in diese Höhle, in der sich David versteckt. Ein perfekter Moment, um Gottes Verheißung selbst auf die Sprünge zu helfen. Saul ist in der Höhle allein. David hat seine Männer bei sich. Er könnte hier und jetzt, seinen Verfolger beseitigen. Doch er tut es nicht. Er sagt:
[…] „Das lasse der HERR ferne von mir sein, dass ich das tun sollte und meine Hand legen an meinen Herrn, den Gesalbten des HERRN; denn er ist der Gesalbte des HERRN.“
(1.Sam.24,7; LUT)
Und ich glaube, der Grund für seinen Großmut an dieser Stelle ist sein Bewusstsein dafür, was dieses „gesalbt sein“ bedeutet. Er ist sich bewusst: Hier steht mir jemand gegenüber, auf dessen Leben eine Verheißung liegt. Selbst wenn oder gerade weil David an Sauls Stelle diese Verheißung zugesprochen bekommen hat. Und weil er weiß, dass Gott mit seinen Verheißungen ans Ziel kommen wird, kann er die aktuelle Erfahrung ertragen und die Erfüllung der Verheißung erwarten. Wahrscheinlich in dieser Zeit dichtet er folgende Verse:
2 Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig! Denn auf dich traut meine Seele, und unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht, bis das Unglück vorübergehe. 3 Ich rufe zu Gott, dem Allerhöchsten, zu Gott, der meine Sache zum guten Ende führt.
(Ps.57,2.3; LUT)
Vielleicht findest du dich da wieder. Die Realität, in der du dich befindest, ist weit weg von dem, was du dir vorgestellt hast. Und auch weit weg von dem, was Gott in dein Leben hineingesprochen hat. Er hat zwar gesagt: „Ich werde dir Kraft geben.“ Aber du fühlst dich gerade kraftlos. Er hat gesagt: „Ich will dir Frieden geben.“ Aber was du gerade erlebst, ist der pure Stress. Er hat gesagt: „Er kommt wieder und richtet sein Königreich auf.“ Aber gerade fällt es dir schwer, überhaupt noch optimistisch in die Zukunft zu blicken. Nicht leicht. Da wird aus Geduld und Güte schnell Rastlosigkeit und Gereiztheit. Aber gerade dann ist das Festhalten an Gottes Perspektive und seinen Verheißungen umso wichtiger.
36 „Geduld aber habt ihr nötig, auf dass ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt.“
(Hebr.10,36; LUT)
Ich glaube, es gilt sogar beides: Wir brauchen Geduld, um auf Gottes Verheißung hinzuleben. Und wir halten an seiner Verheißung fest, um geduldig und gütig zu werden. Beides bedingt sich gegenseitig.
Zweiter Punkt: Geduld und Güte sehen den Prozess.
Dieser Punkt schließt unmittelbar an den vorigen an. Wenn das, worauf wir hinleben, noch nicht ist, dann ist das, was ist, nur vorläufig. In manchen Fällen mag es sein, dass dann irgendwann mit einem Mal Gott seine Verheißung erfüllt. Von einem Moment auf den anderen. Gott spricht. Und es geschieht. Aber ich glaube viel häufiger ist es so, dass Gott Prozesse benutzt, um mit uns ans Ziel zu kommen.
Letzte Woche hatten wir hier unseren dritten Workshop im Rahmen unseres Visionsprozesses. Und Friedrich hat als Auftaktimpuls das Bild des wandernden Gottesvolkes gebraucht. So wie Israel in der Zeit der Wüstenwanderung zwischen Sklaverei und dem Land der Verheißung unterwegs war. So sind auch wir unterwegs in einem Spannungsfeld zwischen „Noch nicht“ und „schon jetzt“. Wir sind „noch nicht“ in Gottes neuer Welt. Aber wir dürfen sie „schon jetzt“ hier erfahrbar werden lassen. Ich spiegele „noch nicht“ Gottes Wesen wieder. Aber ich bin „schon jetzt“ sein Kind.
Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.
(1.Joh.3,2; LUT)
Auch das ist häufig schwer auszuhalten. Nicht nur in Bezug auf uns selbst. Sondern auch in Bezug auf den Umgang mit anderen. Das muss man sich und anderen erst mal zugestehen: Du und ich sind unterwegs. Das, was ich sehe im Moment sehe, ist noch nicht das fertige Bild.
Fatal wird es allerdings, wo wir diese Zwischenzuständen festhalten wollen. Ein Spruch, der unsere Zeit prägt, ist: „Ich bin halt, wie ich bin.“ Und es gibt einen Aspekt, den ich an diesem Satz wirklich gut finde. Nämlich: Ich muss erst mal diesen Zwischenzustand annehmen, mich darauf einlassen und mich dem stellen. Ich kann nicht sagen: „Ich lebe schon im Land der Verheißung“, wenn ich noch in der Wüste sitze. Aber dann dort stehen zu bleiben und zu sagen: „Naja, dann bin und bleibe ich halt ein Wüstenmensch“, ist auch keine Lösung. Das kann nur der Schritt vor dem nächsten sein, der anerkennt: „Ich muss nicht bleiben, wie und wo ich bin.“
23 Lasst euch in eurem Denken erneuern durch den Geist, der euch geschenkt ist.
(Eph.4,23; LUT)
Ohne Geduld und Güte sehen und akzeptieren wir nur Momentaufnahmen, die wir über unser Leben und das der anderen aussprechen. Mit Geduld und Güte sehen wir, was aus uns und aus unserem Nächsten werden kann. Das ist auch der Blick, den Gott auf uns hat. Er sieht den Prozess.
Dritter Punkt: Geduld ist nicht passiv und Güte nicht konfliktscheu.
Ein letzter Aspekt, über den ich in der Vorbereitung gestolpert bin, ist ein Missverständnis. Es kann leicht passieren, dass man denkt: Geduld bedeute, dass ich mich entspannt zurücklehnen kann, denn Gott wird mit seiner Verheißung schon ans Ziel kommen. Und Güte bedeute, dass ich dabei immer lieb und freundlich mit meinen Mitmenschen umgehen soll. Weil wir sind ja alle nur im Werden.
Doch dann gibt es so ein paar Begebenheiten, wo Jesus ganz anders drauf ist. Jesus, der selbst Gott ist. Gott, der selbst die Liebe ist. Die Liebe, die zu allererst geduldig und gütig ist. Da lesen wir davon, dass Jesus im Tempel randaliert und Tische und Verkaufsstände umwirft (Mt.21,12). Klingt nicht sehr freundlich. Wir lesen davon, dass Jesus an einer Stelle ausruft: „O du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen?“ (Mt.17,17). Klingt nicht sehr geduldig. Es gibt noch ein paar solcher Stellen. Wie ist das zu verstehen?
Ich glaube, dass Jesus sich dieser zwei Punkte von oben sehr wohl bewusst ist. Er lebt voll und ganz aus den Zusagen und Verheißungen Gottes. Und er predigt selbst, dass sein Reich im Kommen ist, also im Prozess ist. Noch nicht vollendet. Schauen wir uns die beiden Passagen noch mal an.
Als Jesus die Geldwechsler und Händler aus dem Tempel treibt, tut er das mit der Begründung, dass das Haus seines Vaters ein Ort des Gebets sein soll. Jesus sieht, dass die Händler im Tempel andere Menschen von einer Begegnung mit Gott ablenken. Dem Zweck dieses Gebäudes. Hier ist es nicht an der Zeit, abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln, und den Prozess laufen zu lassen. Hier braucht es ein aktives Eingreifen. Zugegeben, Jesus ist an der Stelle nicht so richtig freundlich zu den Händlern. Aber deshalb habe ich mich bei dem Titel auch für das Wort „Güte“ entschieden. Da steckt nämlich das Wort gut drin. Jesus ist hier vielleicht nicht „lieb“. Aber Jesus erkennt, dass es für alle Beteiligten gut, ja das Beste ist, hier wachgerüttelt zu werden. Auch wenn einige das sicher nicht verstehen und annehmen wollen.
Achtung: Das ist kein Freifahrtschein für selbstgerechtes Handeln. Es ist keine Legitimation, sich wie ein Arschloch aufzuführen. Ganz besonders, wenn da unser eigener Zorn im Spiel ist:
20 Denn des Menschen Zorn tut nicht, was vor Gott recht ist.
(Jak.1,20; LUT)
Ich habe diesen Punkt aber angeführt, damit wir nicht „Geduld und Güte“ als Deckmantel für unsere Passivität und Konfliktscheue missbrauchen.
Wie ist es bei der anderen Geschichte, als Jesus fragt: „Wie lange soll ich euch ertragen?“ Weiß nicht, bei wem du dich das zuletzt gefragt hast. Ich weiß, dass ich mich das bei manchen Menschen immer mal wieder frage. Kann sogar sein, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.
Ehrlich gesagt, ich finde das irgendwie tröstlich, dass Jesus das sagt. Es zeigt, wie schwierig der Umgang mit Menschen nun mal ist. Selbst für Jesus. Wie tröstlich zu wissen, dass selbst Jesus von der Auseinandersetzung mit Menschen herausgefordert ist. Dass ihn das Nerven gekostet hat. Dass es ihn alles gekostet hat, geduldig und gütig zu sein. Das Entscheidende daran ist: Er hat sich trotzdem nicht von den Menschen abgewandt. Wie gut, dass wir in Jesus keinen Übermenschen haben, für den das alles ein Kinderspiel wäre. Sondern einen, der uns und unsere Herausforderungen selbst kennt.
Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.
(Hebr.4,15; LUT)
Wie gut, dass wir Jesus bitten dürfen, uns zu helfen, Geduld und Güte von ihm zu lernen. Wie gut, dass wir Jesus darum bitten dürfen, seine Verheißungen in unserem Leben zu verankern. Wie gut, dass wir uns in diesen Prozess begeben dürfen, in dem wir zu ihm hinwachsen. Wie gut, dass wir Jesus bitten dürfen, uns lieben zu lehren. In allen Dingen. Amen.