Gründonnerstag

Gründonnerstag

2. Mo. 12, 1. 3-4. 6-7. 11-14                                                      Gründonnerstag – Großgrabe,  am 18.04.2019

„Der Herr sprach zu Mose und Aaron in Ägyptenland: Sagt der ganzen Gemeinde Israel: Am zehnten Tage dieses Monats nehme jeder Hausvater ein Lamm, je ein Lamm für ein Haus. Wenn aber in einem Hause für ein Lamm zu wenige sind, so nehme er´s mit seinem Nachbarn, der seinem Hause am nächsten wohnt, bis es so viele sind, dass sie das Lamm aufessen können. Ihr sollt es verwahren bis zum vierzehnten Tag des Monats. Da soll es die ganze Gemeinde Israel schlachten gegen Abend. Und sie sollen von seinem Blut nehmen und beide Pfosten an der Tür und die obere Schwelle damit bestreichen an den Häusern, in denen sie´s essen. So sollt ihr´s aber essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an den Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt essen als die, die hinwegeilen; es ist des Herrn Passa. Denn ich will in derselben Nacht durch Ägyptenland gehen und alle Erstgeburt schlagen in Ägyptenland unter Mensch und Vieh und will Strafgericht halten über alle Götter der Ägypter, ich, der Herr. Dann aber soll das Blut euer Zeichen sein an den Häusern, in denen ihr seid: Wo ich das Blut sehe, will ich vorübergehen, und die Plage soll euch nicht widerfahren, die das Verderben bringt, wenn ich Ägyptenland schlage. Ihr sollt diesen Tag als Gedenktag haben und sollt ihn feiern als ein Fest für den Herrn, ihr und alle eure Nachkommen, als  ewige Ordnung.“   

Liebe Gemeinde am Gründonnerstag! Was haben die Pyramiden und wir gemeinsam? Ich weiß es nicht, bin ja auch kein Reiseführer für neugierige Touristen im Wüstensand. Aber unser Predigttext spielt dort, im Schatten der berühmten Sphinx, 3500 Jahre her. So weit weg. Ja, so weit weg sind die Worte der Bibel. Meine Aufgabe ist, sie euch nahe zu bringen. So nahe, dass ihr euch selbst darin seht. Aber nicht nur seht, sondern auch erkennt. Es gibt verschiedene Spiegel. Der im Bad zeigt mir die Oberfläche. Darin findet der eine sich attraktiv  ein andrer wendet sich seufzend ab, ein dritter murmelt verschlafen: ich kenn dich zwar nicht, aber rasier dich trotzdem. Es gibt auch Spiegel, die zeigen etwas von unsrer Seele, was und wer wir als Person sind. Wir nennen sie Freunde. Ja, wir spiegeln uns in andern Menschen. Besonders, die uns lieben zeigen uns klar: du bist wertvoll, unersetzbar, liebenswert. Texte der Bibel sind auch Spiegel. Schauen wir hinein, können wir deutlich, manchmal verschwommen erkennen, wie Gott zu uns steht, was gut und böse ist, wer wir vor Gott sind, warum wir leben. Jetzt haben wir einen alten Text, aber er spiegelt nichts – oder habt  ihr beim Verlesen die klare Erkenntnis gehabt, was jetzt dran ist? Ich denke eher, weit weg sind sie von uns, diese Worte, alt wie die Pyramiden. Der Spiegel ist verkleistert vom Staub der Jahrtausende. Deshalb erzähl ich anfangs aus dieser alten Zeit, die mit uns nichts zu tun hat. Bin also jetzt doch so was, wie ein Reiseführer. Ja, noch heute stehen die Pyramiden, riesige Giganten, stumme Zeugen vergangner Epochen, halb versunken im Wüstensand. Hunderttausende Sklaven mussten sie bauen, Generation um Generation. Auch die Israeliten waren darunter. Sklaven, Menschen ohne Recht und Würde. Das ist kein Wort aus alter Zeit, sondern aus unserm Alltag. Natürlich nicht wir, wir sind keine Sklaven. Aber ist wirklich jemand unter uns der Meinung, auf dieser Erde hätte jeder Würde und Menschenrecht? Allein nur das Recht: Wasser. Die Sklaven der Pharaonen hatten Essen und Trinken. Über 2 Mrd. Menschen in unserer ach so modernen Welt haben kein sauberes Trinkwasser, müssen aus Pfützen und Schlammlöchern schlürfen. Ihr seht schon hier, im Spiegel „Bibel“, erkennt man nicht nur sich selber, sondern den andern, dem man etwas schuldig bleibt. Nur dieses kleine Wort „Sklaven“ holt diesen alten Text in unsre Zeit. Und schon rüttelt die Frage an unser Herz: Wie stehst du zu den Sklaven in deinem Dorf, nenn es Erde, Welt oder Heimat. Gehörst du zu den Ägyptern, die kein Interesse hatten, die Verhältnisse zu ändern? Bist du an deinem Wohl allein interessiert und sagst: was kann ich schon machen? – Nun wird von der Rettung der Sklaven berichtet, heraus aus dem Gefängnis einer Militärdiktatur. Noch können wir uns in dieser Rettung nicht selber erkennen. Wir sind keine Sklaven, auch nicht in einer Diktatur, müssen also auch nicht gerettet werden. Aber die Augen sollen uns aufgehen, was durch diesen alten Text geschieht. Viele haben aus diesem Rettungsbericht Hoffnung für ihre eigne Rettung geschöpft. Die Schwarzen in den USA mit Martin Luther King, die Afrikaner mit Nelson Mandela unter der Macht der Apartheid in Südafrika und zahllose andere Versklavte, Gefolterte, Unterdrückte haben sich in dem versklavten Israel unter Pharao wiedererkannt. Im Wiedererkennen haben sie Hoffnung geschöpft und den Glauben gefunden: Gott wird auch uns, so wie damals Israel, aus der Gewalt unserer Bedrücker befreien. – Ob Gott auch rettend an uns handeln muss? Das haben wir für uns noch nicht beantwortet. Wir sehen und hören bisher nur, wie andere davon berichten. Nun tauchen in unserer alten Geschichte, über die Rettung eines Volkes aus Zwang und Unfreiheit, wieder Worte auf, die mit unserm Leben zu tun haben: Familie, Nachbarschaft, gemeinsames Essen. Das steht heute bei  vielen ganz oben auf der Liste der Wichtigkeiten: Familie, auch Nachbarn, Freunde und auch Essen. Hier steht die Anweisung: bevor sich die Rettung vollzieht, haltet Gemeinschaft in Familie und Nachbarschaft und esst miteinander. Wir sind ganz bestimmt nicht der Meinung, es gäbe in unserm Volk, unter uns, keine Probleme. Wir kennen sie, die Probleme der modernen Gesellschaft: Konkurrenzdenken, Egoismus, Neid, Angst – gute Gemeinschaft, die Familie steht unter Druck. Familienleben, regelmäßig gemeinsam essen, gute Nachbarschaft, ist längst nicht mehr selbstverständlich. Unser alter Text scheint uns da an etwas Aktuelles zu erinnern. Etwas, was wir brauchen, zu unsrer Rettung. Sagen wir statt Rettung besser: Leben. Leben braucht Gemeinschaft. Weiter finde ich bemerkenswert, dass hier von einem Opfer die Rede ist. Ausdrücklich lautet der Befehl: ihr müsst ein Opfer bringen. Schlachtet ein Lamm, bestreicht mit Blut eure Türpfosten, haltet Gemeinschaft und esst miteinander. Das ist der schlichte Hinweis an uns: wer ernsthaft Rettung, das meint hier lebenswertes Leben, will, muss dafür auch etwas einsetzen, Opfer bringen, sich nicht nur bedienen lassen und Forderungen stellen. Das Blut – als Zeichen der Sühne und Wiedergutmachung – stellt uns etwas kopfschüttelnd die Frage: Meinst du wirklich, du hättest nichts zu sühnen, nichts wieder gut zu machen? Spiegelt euch jetzt der Text etwas? Spürt ihr, dass es um euch, um unsre Gemeinschaft, auch um unser Land und Volk geht? Es gibt auch ein zu spät. Das meint hier das Wort „Gericht“. Wir sind verantwortlich. Tröstlich, ja hoffnungsvoll ist dann die Feststellung: das Gericht geht dort vorüber, wo die Familien sich versammeln, gemeinsam essen und das Opfer gebracht wurde,  wo das Blut an den Pfosten der Türe ist. – Hat euch diese Predigt bisher ermutigt, für euch zu sagen: ich will mich einbringen, dass Leben lebenswert ist. Will einer werden, der nicht haben, sondern geben will. Nicht behalten, sondern teilen, verstehen und lieben will. So ein Mensch will ich sein. Das wäre gut. Aber zu groß. Das sind Träume. Aus solchen Träumen aber wird Wirklichkeit, wenn sich etwas Wichtiges verändert: das Personalpronomen. Nicht ich, sondern wir. Unser alter Text erzählt ja auch nicht von einem, der auszog in die Freiheit, sondern von einer großen Gemeinschaft. Da sind wir ganz bei uns, das ist aktuell: Gemeinschaft. Wer, inspiriert von Gottes Wort, sich verändern lassen will, und auch die Welt nicht so lassen will, wird es allein ganz sicher nicht schaffen, aber mit andern ganz sicher. Gemeinschaft suchen und praktizieren – das ruft dieses alte Wort in unser Leben. Ob wir das ernst nehmen, so ernst, dass wir Ernst machen? Ja, Christsein kostet Opfer an Zeit, Liebe, Geld, Einsatz, Freizeit. Ohne Opfer kein Aufbruch, kein Weg. An dem Lamm wird der Preis deutlich. An Jesus wird der Preis deutlich. So ruft dieses Wort in unser Leben: Versammelt euch um Jesus, Gottes Lamm, esst miteinander, habt Gemeinschaft. Brecht auf und zieht hinaus als Gerettete, geht den Weg, den Gott euch weist. Jesus heißt dieser Weg. Viele Mühe und Arbeit, Herz und Leiden kostet dieser Weg, es erfordert alles von euch: um Versöhnung ringen, Frieden machen, Armen beistehen, Sterbende begleiten, Kranke besuchen, Kinder zum Lachen bringen, Traurigen ein Lied singen, aufstehn gegen Unrecht, reden für Stumme – eben für die Liebe einstehn und leiden: Das ist der Preis! So wächst Leben, kommt die Liebe zu ihrem Recht. Haltet euch bereit! Macht euch auf! Amen.

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