Feind unter Freunden

Feind unter Freunden

Joh 13, 21-30       1. Sonntag der Passionszeit: Invokavit – Oßling/Großgrabe, am 21.02.2021

„Jesus wurde betrübt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: einer unter euch wird mich verraten. Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. Es war aber einer unter seinen Jüngern, den Jesus lieb hatte, der lag bei Tisch an der Brust Jesu. Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist´s? Jesus antwortete: Der ist´s, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Und als er den Bissen nahm, fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! Aber niemand am Tisch wusste, wozu er ihm das sagte. Einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.“

Liebe Gemeinde! Kabale und Liebe. Intrige und Hingabe. Judas und Jesus. Diese nächtliche Tischrunde will ein Wort an uns richten. Es liegt an Jesus. Er ist auferstanden, Herr über alle Menschen, Herr über alle Todesmächte. Er ist in unserem Raum Zeit und zugleich in der Ewigkeit. Deshalb, wegen Jesus, lesen wir nicht einfach einen historischen Bericht von Intrige und Liebe. Wir hören etwas über uns, die Kirche. Jesus will ein Nachtgespräch mit uns führen. Zuerst zuhören. Noch sind wir Zuschauer. Unser Predigtwort hat uns einen Platz vor der Tür zugewiesen. Durch das offene Fenster hören wir, sehen Jesus und seine Jünger. Eine enge, verschworene Gemeinschaft. Wir erkennen Risse, erleben den Beginn des Zerbrechens dieses Bundes. Zuerst wird unsere Aufmerksamkeit auf die zentrale Person gelenkt: Jesus. Er sitzt in der Runde, schaut um sich und ist im Innersten voller Trauer, „betrübt im Geist“. Verrat und Offenheit. Finsternis und Licht. Nicht nur in großer Trauer, auch mit ganzer Offenheit redet Jesus. Keine Beschuldigung, keine Wertung, kein Urteil. Er bringt die innere Situation der Gemeinschaft aus der Verborgenheit ans Licht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten.“ –  Der Verräter sitzt mitten unter uns. Mich erinnert das an meine Zeit in der Jungen Gemeinde in der DDR. Wir wussten, dass mindestens einer für die Stasi mithört. Das hat unsere Gemeinschaft belastet. Junge Christen aus dem Westen besuchten uns bereits zum 5. Mal, das war toll. Zum Abschied gab der Spitzel einem Mädchen „heimlich und in größter Verschwiegenheit“ einen Brief für einen angeblichen Freund mit. An der Grenze erfolgten stundenlange Verhöre, der Brief wurde gefunden und ein Einreiseverbot erteilt. Unsere Gemeinschaft war zerbrochen: „Einer unter euch wird mich verraten.“ Schwer legen sich diese Worte Jesu auf alle. Unruhig suchen sie miteinander Augenkontakt: Du? Ich? Nein!! Jesus sagt immer die Wahrheit, aber wer? „Da sahen die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete.“ Wir – das ist vor allem Petrus – wir müssen rauskriegen, wer. Jesus nicht direkt fragen. Meint Petrus, er hat bei Jesus keinen so guten Stand? Warum ist der Draufgänger hier nicht mutig? Offenheit, Direktheit erfordert mehr Mut als Faust und große Reden. Den hat Petrus hier nicht. Aber er hat einen „Spezi“, Johannes. Er ist irgendwie Jesu Liebling. Das ist Petrus klar. Sehen wir hier Eifersucht, weil Jesus mit einem von ihnen vertrauter ist? Oder hat der eine sich Jesus mehr anvertraut als die anderen, sucht mehr Nähe zu Jesus. Jedenfalls – der kann doch mit Jesus reden: „Es war aber einer unter den Jüngern, den Jesus lieb hatte, der lag bei Tisch an der Brust Jesu. Dem winkte Simon Petrus, dass er  fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete.“ Eine seltsame Nacht, eine zutiefst angespannte Gemeinschaft beim Essen, ein Verräter unter ihnen und einer, der weiß, dass er morgen, am Karfreitag sterben wird. Nur mit Hilfe aller wäre es möglich, der Gemeinschaft zu helfen – und dem Verräter. Aber statt sich über die Not, die Gefallenheit, die heillose Verstrickung des Verräters zu erbarmen, seine Verlorenheit zu erkennen, geht es ihnen um ihre eigne Unschuld. Jesus schaut zu Boden, mit einem Blick wie in einen entsetzlichen Abgrund. Jetzt hebt er den Blick, schaut sie an. Sein Mund ist geschlossen. Aber unüberhörbar leuchtet in seinen Augen die Frage: wo werdet ihr sein, wenn ich bald eure Hilfe im Gebet brauche? Wo werdet ihr morgen sein, wenn ich vor Gericht stehe? Werdet ihr für mich eintreten? Werdet ihr all´ die falschen, bezahlten Zeugen widerlegen? Wo wirst du sein, wenn morgen durch die Gassen von Jerusalem der Ruf tönt: Kreuzige! Jesu Mund bleibt stumm. Und die lautlosen Fragen seiner Augen hören und lesen seine Jünger nicht. Sind in Sorge um ihreweiße Weste. Diese Sorge um sich lässt die Ohren ihres Herzen verschlossen sein für den Hilferuf Jesu. Es war eine bitte um Hilfe und Beistand, als Jesus sagte: Ein Verräter ist mitten unter uns. – Jetzt nickt Petrus dem Liebling Jesu zu, los, frag ihn: „Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist´s? Jesus antwortete: Der ist´s, dem ich den Bissen eintauche und gebe.“ Kein Name, nur eine Geste. Jesus hat geflüstert. Seine leisen Worte waren für niemanden außer Johannes bestimmt: „Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas.“ Nur eine Geste Jesu? Nein, sein Tun ist dunkel und rätselhaft. Er weiß also von dem Verrat, kennt seinen Verräter und benennt ihn. Aber er belässt es dabei. Hier sind wir an der Grenze des Verstehens. Es wird noch dunkler. Der Bissen, den Jesus reicht, scheint der Finsternis die Tür zu öffnen. Jesus widersteht dem nicht, kein Widerspruch, kein Befehl: Hinweg mit dir, Satan! Judas empfängt, warum nur,  aus Jesu Hand: „Und Jesus nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas … und als der den Bissen nahm, fuhr der Satan in ihn.“ Grauenvoll. Es ist möglich, dass Menschen unter die Macht Satans geraten, zu Werkzeugen der Finsternis werden. Wie seltsam ist, was Jesus jetzt zu Judas sagt: „Was du tust, das tue bald!“ Und es ist verwirrend – obwohl man so eng beieinander ist – dass die anderen nichts mitbekommen und verstehen. Das erinnert uns: Man kann sehen und doch nichts erkennen; man kann hören und doch nichts verstehen. Wie gesagt, wir haben ja unseren Platz, draußen am offenen Fenster: „Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! Einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte.“ Man kann sehen und doch nichts erkennen; man kann hören und doch nichts verstehen. Was sich in der nächtlichen Tischrunde vollzieht, geschieht weiter, bis heute: Zerbruch, Verrat, hintenherum reden, nicht erkennen und verstehen. Was macht das mit uns? Greifen wir ein, wenn Risse in unserer Gemeinschaft sichtbar werden? Und damals, was hättest du getan? Gleich wird Judas aus der Tür kommen. Er muss an dir vorbei. Wirst du ihn aufhalten? Drinnen wird ein Stuhl frei. Willst du dich in die Runde setzen? Was willst du Jesus sagen, was seinen Jüngern? Da ist Judas: „Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus.“ Er geht von Jesus weg. Bald wird er von schwerster Reue übermannt und niedergerungen werden: „Und alsbald ging er hinaus.“ So dunkel, wie unser Predigtwort beginnt: „Jesus wurde betrübt im Geist.“ – so dunkel endet es. Das bleibt so stehen. Das gilt es auszuhalten: „Und alsbald ging er hinaus. (Punkt) Und es war Nacht.“ (Punkt) Liebe Gemeinde! Wir durchwandern jetzt die Passionszeit. Betrachten dankbar und ehrfürchtig Jesu Leiden. Er nahm alles auf sich, damit Menschen, die von Gott weggehen doch gerettet werden, Verrätern verziehen und den Sündern – also allen Menschen – geholfen werden kann. Wer mit Jesus gehen will, muss dies mit aushalten. Es beginnt mit Verrat. So dunkel ist es: „Und alsbald ging er hinaus. Und es war Nacht.“ Amen. 

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