1. Weihnachtstag (Oßling)

1. Weihnachtstag (Oßling)

Micha 5, 1-4a                                                          1. Weihnachtstag – Oßling, am 25.12.2016

„Du, Bethlehem Ephratá, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des Herrn und in der Macht des Namens des Herrn, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.“

Liebe Gemeinde am Weihnachtsfest! Die Geschenke sind ausgepackt. War eines darunter, wo ihr echt verblüfft wart vor Staunen, Freude? War eines eurer Geschenke eine echte Überraschung? Ich habe heute auch ein Geschnek mit. Leider habe ich nicht die Vorfreude, die ein Schenkender oft hat. Ihr wisst ja schon, was ich habe, das ist abgesprochen. Es wird keine Überraschung, der heutige Predigttext. Ob jemand unter uns sagen wird, voll Staunen und Freude: das hab ich nicht erwartet? Ich lese mal den ersten Satz der Grußkarte, die uns zu Weihnachten in den Briefkasten unseres Herzens geflattert ist: „Du, Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.“ Das sind schöne Grüße, aber keine Überraschung. Damit – wir verstehen sofort – ist Jesus gemeint, in Bethlehem geboren. Und diese Zeile „von Anfang und von Ewigkeit her gewesen“ ist der Hinweis: dieses Kind Jesus ist Gottes Sohn. Wenn ich so nüchtern über diesen Weihnachtstext rede, will ich niemanden die festliche Stimmung trüben. Ich kann uns aber auch nicht unterschieben, wir wären wahnsinnig überrascht. Sind wir nicht. Obwohl uns dieses Wort als geistliches Weihnachtspräsent überreicht wurde. Überrascht sein und vor Freude Herzklopfen bekommen, in dieser Freude für kurze Zeit alles vergessen – das ist eine besondere Kraft und Fähigkeit. Und ist das Merkmal der kindlichen Seele. Ich muss an ein Wort Jesu denken: „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht mit der Seelenkraft eines Kindes Gottes Verheißungen betrachtet, werdet ihr die Geheimnisse Gottes nicht erblicken.“ (Mk 10,15) Die freudige Überraschung über ein Geschenk ist eine Kraft. So stark, dass sie Hoffnung freisetzt und dem Glauben Beine macht. Aber können wir glauben, dass Gott so ärmlich, ja erbärmlich, so ausgestzt, so bedroht ist? Mit wir meine ich jetzt nicht nur uns. Wir stehen in einer langen Reihe der Menschen des Alten und Neuen Testamentes, den Menschen nach Christus bis heute. Wir sehen: Immer wieder wollten Menschen an einen mächtigen Gott glauben. Glaube und Durchsetzungsvermögen, Stärke, Gott und Macht, meinten sie, gehört zusammen. Viele Jahrhunderte ging die Kirche des Kindes in der Krippe den Weg „Glaube und Macht“. Wohin hat das geführt? Viele Knie haben sich wohl vor dem Kreuz gebeugt, aber wieviele Herzen? Stellt euch vor, wir ständen vor 2000 Jahren in einem Stall, dunkel, muffig. Eine erschöpfte, stillende Mutter. Ein unruhiger Mann, arme Leute – würden wir meinen, das ist der Retter der Welt? Würden wir glauben, dass der Allmächtige sich so was antut? Heute, nach 2000 Jahren Wirkung des Evangeliums, glauben wir, besser: bejahen. Aber glauben? Glaube an den Schöpfer des Universums in einer Krippe? Der Schöpfer vollkommen in Menschenhand? Wollen wir an so einen Gott glauben? Es wäre der rechte Weihnachtsglaube. Wenn wir um solchen Glauben bitten, unser Herz öffnen, dass der Heilige Geist ihn hineintut, dann wird er uns berühren, erschüttern. Zuerst werden alle niedlichen Fassaden von einem süßen Kind weggeräumt. Alle Weihnachtskrippen verschwinden. Statt Räucherkerzen-duft Mist, Windeln und Sorgen. Der Weihnachtsglaube stellt erschüttert, die nackte Realität betrachtend, die Frage: Wenn, ja wenn du Gott selber, dieses schreiende Bündelchen bist, warum – in aller Welt – warum um himmelswillen tust du das? Ich weiß, Antworten haben wir parat. Sie sind sicher nicht falsch, aber sind sie treffend. Gehen sie in die Tiefe? Es geht jetzt nicht um Richtigkeiten, sondern um die Wahrheit. Vor allem, wer wirklich erschüttert ist, hat keine fertigen Antworten. So glatt ist echter Weihnachtsglaube nicht. Erschütterung kennt neben der Unruhe vor allem Fragen, diese: Warum tust du, Gott, dir das an?  – Ein Rabbi wurde gefragt, woran es liegt, dass es heute keine Menschen mehr gibt, die Gott von Angesicht zu Angesicht sehen können. Weil sie nach oben sehen, war die Antwort. Wer Gott sucht, muss nach unten schauen. – Gott schaut nicht auf uns herab. Gott schaut nach unten. Sein Blick auf die Menschenkinder, bewegt von Liebe, sah sie verstrickt in Sünde, verloren in Tod und Verdammnis. Aus seiner Liebe heraus erklärte er sich solidarisch mit uns. Er wollte dort sein, wo wir sind. Erst, wer seine eigne Armut vor Gott erahnt, weiß, warum sich Gott in die Armut begab. Weil er mich dort sucht und finden will, wo ich arm bin. Erst, wer über seine eignen Abgründe erschrickt, weiß, warum Jesus in die Abgründe ging. Dort trifft er unser wahres ICH und will uns seine Gnade übereignen. Erst, wer über seine eigne Sünde und Verlorenheit verzweifelt ist, weiß, warum Jesus den Kreuzweg der Sünde und Verzweiflung wählte. Um mir selber in meiner Schuld zu begegnen und um mir alles abzunehemen. Erst wer sieht, wie bedroht sein Leben ist durch Vergänglichkeit und Heimatlosigkeit versteht, warum Jesus Heimatlosigkeit wählte: aus seiner unvorstellba-ren Liebe. Eine Liebe von solcher Glut und Ausdauer, von solcher Wehrlosigkeit und Zartheit, dass sie niemals ans Ende kommt uns zu suchen, zu finden, heraus- und dann heimzuholen. Das Kind in der Krippe ist Gottes Heim-suchung. Schauen wir in uns hinein: in unsre Kirche, in unsre Gemeinde, in unser Herz. Schauen wir nicht auf das, was wir sein wollen. Sondern tapfer auf das, was wir vor Gott sind. Schauen wir auf unsere Armut an Liebe, unsere Verstrickung in Sünde, unseren Schmerz, unsere Schwäche. Schauen wir einfach nach unten. Dann erblicken wir Gott. Nicht den unserer Phantasien. Sondern den, wie er ist. Wir sehen unsern Herrn als schreienden Säugling, hungrig und bedroht. Wir sehen, unser Gott kann sich nicht um uns kümmern, sondern wir müssen uns um ihn kümmern. Dabei hören wir Jesus Wort im Herzen: Was ihr den Armen getan habt, habt ihr mir getan. Erst die Augen. Dann geht uns das Herz auf über die Anteilnahme Gottes mit seinen Menschen. Hineingenommen in den sanften Strom seiner Liebe drängt es mich, auch Anteil zu nehmen und meinen Anteil zu geben. Anteil nehmen, Anteil geben, damit schauen wir auf unser geistliches Geschenk. Es ist, als hätten wir es ausgepackt. Wir schauen die vier Verse an. Sie schimmern wie Perlen im Licht. Ich nehme die erste: „ …aus Bethlehem soll der Herr kommen.“ Und mein Herz ist froh und antwortet: Gott ist treu, er hat´s erfüllt. Ich halte die zweite Perle, das Wort über schwere Zeiten, es lautet: „   indes lässt er sie plagen.“ Mir wird gezeigt – es gibt nicht nur Heiles, sondern vor allem zu heilendes Leben. Dankbar sehe ich, dass Gott seiner Kirche und mir zutraut, daran mitzuwirken. Und höre durch die dritte Perle, wie durch das Licht der Liebe viele zum Glauben finden, es klingt so: „…Da wird der Rest seiner Brüder wiederkommen …“ Die vierte Perle ermutigt: Vertraue! Gott führt in Liebe seine Kirche wie ein guter Hirte: „Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des Herrn, und in der Macht des Namens seines Gottes … und es wird Friede sein.“ Ich bin überrascht, dass ich doch überrascht bin. Überrascht von der Liebe. Überrascht, wie lieb mich mein Heiland hat. Amen.

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