heim – suchen (Oßling)

heim – suchen (Oßling)

Jer. 29, 1.4 – 7.10 – 14                                                     21. Sonntag nach Trinitatis – Oßling, am 01.11.2020

„Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte: So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels, zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure söhne Frauen und gebt eure Töchter Männer, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn´s ihr wohl geht, so geht´ s auch euch wohl. Denn so spricht der Herr: wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch Zukunft und Hoffnung gebe. Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der Herr, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.“ 

Liebe Gemeinde! Den „lieben Gott“ gibt es nicht. Der „liebe Gott“ ist nur ein Götze. Das griechische Wort für Götze in der Bibel heißt Idol, das bedeutet Trugbild. Der sogenannte „liebe Gott“ ist nur ein Bild von Gott. Da hat man dieses schöne Wort gehört: „Der Herr ist mein Hirte“ – und sich darüber fromme Gedanken gemacht, besser Vorstellungen. Dass der Hirte eben seine Schäfchen füttert, weidet, beschützt und alles Liebe und Gute will. Wenn wir schon das Wort aus Psalm 23 für den Glauben strapazieren, sollten wir auf die beiden Worte „Herr“ und „Hirte“ achten. Der Hirte ist der Herr. Er bestimmt, wo es lang geht, wie, wohin und wie lange. Ruft der Hirte, muss das Schaf kommen. Antwortet es: Nööh!, zieht es der Hirte mit seinem Krummstab. Was glauben wir wirklich – dass der Herr mein Hirte oder mein Wohlfühlbediener ist? – Die Treue Gottes zeigt sich oft darin, dass er uns enttäuscht. Das liegt schon im Wort: Ent-täuschung. Gott nimmt uns eine Täuschung, ein falsches Bild von ihm. Enttäuschungen mit Gott sind Krummstaberfahrungen. Da wurde uns die Luft eng – und wir kamen Gott näher. Weg aus der Entfremdung in seine Nähe. Nicht aus eigner Kraft oder gar eignem Willen, sondern von ihm gezogen. – Der Schreiber unseres Predigtwortes hat das hautnah erfahren. Als er verbittert über Gott, innerlich müde und enttäuscht war, sagte sein Gott zu ihm: „Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“ (Jer. 31, 3) Krummstaberfahrung – Gott zieht mich in seine Nähe. Das gilt auch für die Kirche und die Völker. Der Hirtenstab Gottes regiert durch die Geschichte. Unser Predigtwort erzählt darüber. Zwei Worte vom Walten Gottes bringen uns auf diese Spur, sie bilden eine Klammer, Anfang und Ende des Textes. Wegführung zu Beginn, Heimsuchung am Schluss. Wegführung, Heimsuchung – Beschreibungen von Gottes Krummstabliebe . Die Adressaten in seinem Brief benennt Jeremia: an die Weggeführten. Sie sitzen in der Metropole der Weltmacht, in Babylon, 1000 km weit weg von der Heimat. Von der ersten bis in die letzten Seiten der Bibel hat der Name Babylon etwas Bedrückendes. Für Martin Luther war die Kirche seiner Zeit in einer babylonischen Gefangenschaft, weggeführt und entfremdet von ihrem Auftrag. Schauen wir auf unsere Welt heute, begegnet uns das Thema Wegführung, Entfremdung auf Schritt und Tritt. So viele Menschen sind entfremdet von ihrem Menschsein, wie weggeführt. Millionen sind in Afrika auf der Flucht, die Heimat, das Recht auf Leben ist ihnen fremd geworden. 1/3 aller Menschen ist sauberes Trinkwasser fremd; Millionen ist der Frieden fremd; viele sind der Arbeit entfremdet oder haben keine; manch einer wohnt nur unter Fremden, Familien haben sich entfremdet und manch einer ist sich selber fremd. Diese Gedanken zeigen: Wegführung, in der Fremde sein hat viele Gesichter. Wegführung, Fremdheit ist auch uns nicht fremd. Deshalb ist es gefühlsmäßig zu verstehen, wie es wohl 600 v. Chr. den Menschen ergangen war. Da ertönte der Befehl: Juden raus – raus aus Jerusalem. Dann ging alles über den Jordan, nach Babel. Während wir den endlosen Zug der Weggefährten sehen, denken wir an Entwurzelung, entwurzelte Menschen und eine Frage nach meiner Existenz meldet sich: Wo habe ich meine Wurzeln im Leben, im Glauben? – Die Juden damals glaubten an Gott – oder glaubten sie an ein Idol, einen Götzen? Vielleicht wünschten sie sich, dass „der da oben“ seine himmlischen Heerscharen mobil macht. Das wäre gerecht, würde die alten Verhältnisse wieder herstellen. „Herr Zebaoth“ heißt zu Deutsch: „Herr der Heerscharen“. Und er kommt tatsächlich, der Herr der Heerscharen. Aber diesmal ohne Schwert und Reiter. Er kommt mit der Post. Ein Brief. Er beginnt mit den Worten: „So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen …“ Post von Gott. Keine Bombe, keine Anweisung zum illegalen Widerstand und Sabotage der babylonischen Wirtschaft. Sie hofften zu erfahren, Gott würde für sie, sein Volk, die Würfel der Weltgeschichte neu im Becher seines Ratschlusses schütteln, sie auf die Gewinnerseite bringen. Sechserpasch und „full house“ für das Gottesvolk. Und jetzt die Enttäuschung vom „lieben Gott“. Er lässt durch Jeremia (d. h. „Gott erhöht“) ausrichten: Bleibt wo ihr seid. Toll!! – Wieso eigentlich? Sie hatten doch so brennend gebetet und geglaubt: bald kehren wir zurück. Dieser Brief ist ein Schlag gegen den Glauben – nein besser: ein Schlag gegen fromme Wünsche. Unser Wunsch und Gottes Wille – ob die wohl zusammenpassen, wenn wir beten? Jedenfalls Gott lässt durch Jeremia per Post ausrichten: „Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter; nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehret euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.“ – Gott mutet dem Glauben etwas zu. Damals sagte er den Weggeführten: ihr bleibt weggeführt. Keine Rückkehr. Seht zu, dass ihr euch dort ein Leben aufbaut, arbeitet und kümmert euch, sonst geht ihr ein. Eine Zumutung für`s Leben. Kein Zurück. Nun eine für den Glauben: Der feindliche König Nebukadnézar hatte sie weggeführt, so im Vers 1 „… an das Volk, das Nebukadnézar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte.“ Im Vers 4 heißt es dann, Gott hat sie weggeführt: „So spricht der Herr Zebaoth … zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen.“ Sie sollen also glauben, dass ein heidnischer, gottloser König ein Werkzeug Gottes gegen sein eignes Volk sein soll. Nebukadnézar, dieser grausame Tyrann, der Krummstab Gottes? Dazu sollten sie noch fremde Äcker bestellen. Aber der Acker Babylons war doch die Erde Marduks, Obergott Babels. Doch die härteste Zumutung für ihren Glauben war die Anweisung, für ihre Feinde zu beten und für ihr Wohl zu arbeiten. Der Brief lautet weiter: „Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen und betet für sie zum Herrn; denn wenn`s ihr wohl geht, so geht’s euch auch wohl.“ – Im Psalm 137 ist uns ein Gottesdienstgebet der Gefangenen in Babel überliefert. Es lautet: „An den Wassern Babels saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Tochter Babel, du Verwüsterin, wohl dem, der dir vergilt, was du uns angetan hast! Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt, und sie am Felsen zerschmettert.“ Aus! Sagt Jeremia durch den Brief. Aus und Schluss mit diesen Rachepsalmen. Betet für eure Feinde. – Was für eine kreative Anweisung. Das Gebet für die Feinde hat schöpferische Kraft, die Spiraleder Gewalt zu durchbrechen. Indem sie für die Babylonier Fürbitte halten, hören die Babylonier auf, ihre Feinde zu sein. –Dieser Rat hat bis heute weder an Kraft noch an Aktualität verloren. Beten wir doch für Menschen, die uns im Weg stehen. Sie sind uns von Gott als Weggefährten gegeben. Das Gebet für sie öffnet uns dafür die Augen. – Jeremia war kein Politiker, sondern Prophet. Sein Rat kommt aus dem Glauben. Und doch ist er voll politischer Klarsicht. Er mahnt zur Nüchternheit und sagt: Ihr seid im Exil, seid gefangen, ja. Kämpft nicht um die Freiheit, sondern lebt. Ob unter fremder Herrschaft oder Leben unter eigner Regie – Gott will durch euch, eure Gemeinschaft wirken. Setzt eure Kraft nicht für eure Unabhängigkeit ein, sondern macht euch abhängig von Gott. Durch Revolution geschieht nicht Gottes Wille, sondern nur Blut und Tod. Lasst Gott für euch sorgen, er gibt euch Lebensraum. Ihr sollt nicht die politischen Verhältnisse erneuern, sondern euer Verhältnis zu euerm Gott. Jeremia spricht seinen Landsleuten in seelsorgerlichen Worten zu, dassalles seine Zeit hat, auch jede Diktatur, und schreibt: „Denn so spricht der Herr: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen, und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ Haben wir die zweite Klammer gehört: Heimsuchung: „Ich will euch heimsuchen … dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ Wegführung war die erste. So ist es bis heute von Abraham, über Mose, von Babylon und überall. Gott führt weg. Von Orten, wo sich Menschen vor Gott verschanzen, wo sie im Glauben nicht weiterkommen. In Gottes Wegführungen bleibt manches rätselhaft. Sie wären trostloses Gericht, wenn es nicht diese zweite Klammer gäbe: Heim-suchung. Alle Wege Gottes mit uns Menschen ist ein Suchen Gottes nach uns, ein Finden und Heimbringen. Ob wir das glauben können, glauben wollen? Jetzt eben in meiner Situation geht Gott mir nach, will mir nahe kommen! Ob wir das auch für die Situation unserer Kirche so sehen könnten? Dass er viele Probleme belässt und einfach sagt: Glaubt mir, dass ich euch Zukunft und Hoffnung gebe, denn ich bin kein „lieber Gott“, sondern ein liebender Gott. – Nach 70 Jahren kehrte das Volk Israel tatsächlich in seine Heimat zurück. Ob wir glauben, dass dies ein Signal, ein Vorschatten auf die Heimsuchung unserer Welt ist. Am Ende des Kirchenjahres denken wir an die Vollendung der Welt. Wenn Jesus wiederkommt, dann wird sich dieses Wort ganz erfüllen. Wir werden es in der Tiefe unserer Herzen verstehen, wenn unser Herr uns ins ewige Leben einlädt und spricht: „Ich will euch heim-suchen … und euch Zukunft und Hoffnung geben.“ Amen.

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