Reformationsfest (Kirche Oßling)

Reformationsfest (Kirche Oßling)

Reformationsfest – Oßling, am 31.10.2016

„Also, meine Lieben, wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch viel mehr in meiner Abwesenheit, schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist´s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“ (Phil. 2, 12 -13)

Liebe Gemeinde zum Reformationsfest! Meine Lieben – so redet der Apostel Paulus seine Gemeindeglieder an. Das ist nicht einfach so dahin gesagt. Die Anrede des Apostels „meine Lieben“ entspricht der Anrede Gottes an uns Menschen. Das lass ich mir gern gefallen. Jeder hier wird so angeredet, was er in Gottes Augen ist: ein geliebtes Menschenkind. Jeder blicke jetzt mal von sich weg, was er über sich denkt, oder was er denkt, wie andre ihn sehen. Lassen wir das, und lassen uns die Anrede Gottes gefallen: Meine Lieben! Gebt dieser Anrede Raum. Lange vor deiner Geburt hat dich Gott geliebt. (Ps 139) Schon immer hat er dich gewollt, für immer will er dich, deine Gemeinschaft. Ich bin von Gott geliebt: vor aller Zeit, in dieser Zeit, in Ewigkeit. – Mir ist bewusst, dass dies sehr große Worte sind, zu groß für unsern Verstand, aber genau passend für unsern Glauben. Mit weniger gibt sich Glaube nicht zufrieden, sonst hungert und dürstet er. Deshalb ist euer Glauben angesprochen, wenn diese Musik durch den Raum tönt und ihr hört. Meine Lieben! Mit dieser Anrede und dem verwunderten Echo in unserm Herzen wird uns ein Ringen anbefohlen. Menschenkind, verkürze die Liebe Gottes nicht, zerstückle und beschränke sie nicht mit wenn, hätte, aber und wäre. Lass sie vollkommen, taste sie nicht an. Lass sie für dich ganz gelten und glaube: ich bin vollkommen und ganz geliebt bei Gott. Wenn Gott etwas tut, dann vollkommen. – Wir alle hier ahnen und verstehen und wissen etwas von Liebe, von ihrer Kraft und ihrer Ohnmacht, von heller Freude und tiefem Schmerz, die Liebe – da sehen wir Fröhlichkeit und reines Glück und düstere Trauer und Tränen. Gottes Liebe sehen wir nicht nur im Kind von Bethlehem oder am Ostermorgen, sondern auch am Karfreitag. Ich sage das, damit uns mehr aufgeht, welche Bedeutung es hat, welche Tiefe, wenn wir heute so von Gott angesprochen werden: Meine Lieben! Meine Geliebten! Solcher Liebe Gottes Raum geben, durch unser Leben Antwort geben, nennen wir schlicht „glauben“. Mein Leben, unser Miteinander auf diese unergründliche Liebe Gottes ausrichten, das meint Paulus, wenn er schreibt: „Meine Lieben … schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.“ Mit Furcht und Zittern – klingt fast wie ein strammer Befehl zur Liebe. Für mich ein sehr spannender Satz, weil ihn einer schreibt, der ein radikaler Verfechter der Gnade ist. Seligkeit, ewiges Leben gibt`s nur als Geschenk. Was hat Paulus nicht alles unternommen und geschrieben, um nur dieses eine zu sagen: Gott hat uns gegenüber keine Rechnungen mehr offen. In Christus ist die Schuld der Welt beglichen. Der Schrei – es ist vollbracht – heißt: unter dem Kreuz Jesu gibt es keine Anklage. Wir müssen unsere Lebensenergie nicht darauf verwenden, einen enttäuschten, beleidigten oder traurigen Gott wieder heiter zu stimmen. Wer zum Kreuz Christi tritt, tritt aus der Anklage in den Freispruch, unwiderruflich, vollkommen. Es kann also Paulus nicht darum gegangen sein, den Menschen auf sein Tun zu weisen, zu guten oder gar Gott versöhnenden Taten zu motivieren. Paulus kannte nur eine Tat, die Gott versöhnt: Jesu Leiden und Sterben. Wenn Paulus von Furcht und Zittern spricht, dann meint er, was den Frauen am Ostermorgen widerfahren ist. Sie wurden mit dem wahren Leben konfrontiert, das den Tod verlacht; ihnen begegnete die alle Grenzen überschreitende Liebe Gottes. Als sie fassungslos sahen, der Tod ist vorbei, was sollte da anders passieren als Furcht und Zittern, denn sie sahen, dass ihnen – im positiven Sinn, noch etwas bevorstand. Leben, nur Leben. Und wir, wenn Gott und seine Liebe mit uns auf dem Weg ist, wem sollte da nicht Ehrfurcht ankommen, wer sollte nicht vor Freude zittern und vibrieren? Daher kommt Furcht und Zittern: Dass es ernst wird mit meinem Leben. Denkt an einen Schauspieler, für den die Bühne das Leben ist, der sich keinen andern Beruf vorstellen kann. Vor jeder Aufführung sitzt ihm etwas im Nacken wie Furcht und Zittern, mehr als das übliche Lampenfieber. Diese Anspannung resultiert aus dem Anspruch, der sich aus der Rolle ergibt und die er nun mit Leben zu erfüllen hat, mit dem Autor des Stückes, mit sich selbst und dem Publikum eins werden. Vollblutschauspieler haben diesen Anspruch und sagen: Lampenfieber kenne ich nicht, aber eine unerklärliche Anspannung, Konzentration von Leib, Seele und Geist. Christliche Existenz in „Furcht und Zittern“ – da spricht Paulus von der Ernsthaftigkeit des Glaubens. Liebe ist ernst zu nehmen und Gottes Liebe ist ernst gemeint. Neben die tiefe Ernsthaftigkeit, mit der wir Gottes Liebe begegnen sollen, stellt Paulus die tröstliche Gewissheit, dass Gott uns hilft. Also zuerst: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.“ Und nun: „Denn Gott ist`s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen.“ Das ist es: ernsthaft der Liebe Gottes vertrauen, die Anfang, Mitte und Ziel kennt und dorthin führt. Der Liebe Gottes vertrauen, die uns wachsen lässt, unter Furcht und Zittern, wie einen Baum. Das ist übrigens der Unterschied zu einer Litfasssäule. Nach Jahren kleben da hunderte bunte Plakate übereinander, Schicht um Schicht um einen toten, inneren Kern gelegt, von Sprüchen eingewickelt. So der Mensch, der ohne Gottes Liebe aus sich selber etwas sein will. Er braucht Fassade. Bei einem Baum setzten die Wachstumsschübe von innen, unterhalb der Rinde an. Besonders bei Kiefern und Platanen sieht man es deutlich: Eines Tages, die Außenhaut ist bis aufs Äußerste gespannt, beginnt die Rinde zu zerreißen und segelt in großen Stücken zur Erde. An einigen trocken-heißen Tagen im Jahr kann man in dichten Kiefernwäldern ein ununterbrochenes Knacken und Plumpsen von Rindenstücken vernehmen. Da liegt ein großes Zittern in der Luft. Alte Fassaden haben ausgedient. Der Wald wächst, er lebt. Aus Liebe sind wir gepflanzt, verwurzelt in Christus und sollen wachsen, aus ihm, durch ihn, für ihn. Das gibt uns Paulus mit auf unsern Weg.

„Meine Lieben … schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist`s, der in euch beides wirkt, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“ Amen, meine Lieben.